Kampf um das Saatgut
Saatgut-Vielfalt Am 6. Mai soll der Entwurf einer neuen EU-Verordnung zum Saatgut beschlossen werden. Es gibt Widerstand, der leider auch von EU-Gegnern und Rechten vereinnahmt wird.
In dieser Woche schreckte ein Artikel auf, der massenhaft in den Social Media verlinkt wurde: „EU will Anbau von Obst und Gemüse in Gärten regulieren“. Er suggerierte auf reißerische und journalistisch unseriöse Art: Die EU will auch an deinen Garten. Niemand achtete auf den Stil und die Quelle, alle waren empört und leitete ihn unbesehen weiter. Er stammte von den „Deutschen Wirtschaftnachrichten“ des österreichischen Journalisten Michael Maier, die sich, wenn man die Artikel anschaut, der Anti-EU-Arbeit verschrieben haben. Sie ist bei rechten Verschwörungtheoretikern, die sich auch über Quellen wie Infowars “informieren” sehr beliebt. Die EU stellte daraufhin noch einmal klar: Es geht bei den neuen Regeln für Saatgutproduktion nur um den professionellen Handel. Allerdings stellt auch dieser Artikel die Sache so dar, als sei sie bereits beschlossen. Dabei soll das Annahme des Entwurfs eines neuen Gesetzespaketes zur Tier- und Pflanzengesundheit erst am 6. Mai stattfinden.
Auch wenn dieser Entwurf noch nicht in allen Einzelheiten bekannt ist, regt sich bereits Widerstand zu dem nicht ganz neuen Thema, im Moment vor allem in Österreich (wo sich auch die Rechte, wie z.B. die FPÖ, das Thema aneignet, also Vorsicht), aber auch über Organisationen wie Avaaz, die am Dienstag dem deutschen Landwirtschaftsministerium-Ministerium eine Petition mit über zwei Millionen Unterschriften gegen Patente auf Pflanzen übergab, und diverse weitere Organisationen und Verbände (s.u.). Denn dass diese Regelung dann doch nicht für den privaten Tausch im heimischen Garten gelten soll, sondern nur für gewerbliche Pflanzenzüchter, Bauern und Agrarkonzerne heißt auch noch lange nicht, dass sie unproblematisch ist. Es geht um ein wichtiges Thema, das uns alle betrifft: Die fortschreitende Saatgut-Monopolisierung und die Bedrohung alter Sorten.
Schon jetzt kontrollieren die Marktführer Monsanto, Dupont und Syngenta mehr als die Hälfte des Marktes. Martin Häusling, Agrarexperte der Grünen im EU-Parlament, verweist laut SZ auf Zahlen der Welternährungsorganisation FAO, wonach seit 1990 weltweit 75 Prozent der genetischen Vielfalt in der Landwirtschaft verloren gegangen sind. Die neuen Sorten, die zugelassen wurden, sind selbstverständlich lizensiert oder sogar patentiert – und bringen Profit. Wie die SZ berichtet, kann sich das Europäische Patentamt (EPA) die Flut von Patentanträgen – auch für gentechnisch veränderte Pflanzen – kaum noch bewältigen, während die Kritiker die Patentierung von Saatgut ganz ablehnen und auf entsprechende Gesetze verweisen.
Seit den 1990ern tobt ein Streit zwischen der Saatgut-Lobby der „European Seeds Association“ (ESA), und Bauern, Umweltschützern und kleinen Züchtern, nachdem die EU 1994 eine Richtlinie eingebracht hat, die den Züchtern mehr Rechte gibt und den so genannten Nachbau, also die Nachzucht von gekauftem Saatgut durch die Bauern, einschränkt. Schon 2006 wurde gerichtlich anerkannt, dass Nachbaugebühren mit bis zu 80% der Lizenzgebühren, die beim Saatguteneinkauf fällig würden, überzogen sind. Erst im vergangenen Jahr stellte der EuGH auch noch einmal fest, dass die aktuelle EU-Richtlinie es nicht verbiete, selbst Saatgut aus alten, amtlich nicht zugelassenen Pflanzensorten herstellen und vermarkten – das war wohl der Anlass, diese jetzt zu verschärfen. Woher der Druck dazu kommt lässt sich auch leicht ausmachen, wenn man einfach fragt: Cui bono?
Verschiedene Gruppierungen haben Petitionen gegen diese geplante EU-Verordnung, die den Biodiversitäts-Zielen widerspricht, die die Vielfalt der Pflanzensorten bedroht, ebenso wie nachhaltige Ernährungssysteme, biologische Landwirtschaft und Gartenbau, und sehr eng den Interessen und Vorgaben der Saatgut-Industrie folgt, online gestellt, u.a. Seedforall, Campact, Global 2000, Saatgut-Kampagne, oder Open Source Seeds.
Update: Und Widerstand lohnt sich doch: Die Pläne der EU-Kommission zur Neuregelung des europäischen Saatgut-Marktes sind laut Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer (Grüne) vom Tisch, meldet die DPA. Was nicht heißt, dass sich das Thema erledigt hat. Es heißt, weiter dranbleiben und gucken, was jetzt kommt.
In diesem Kontext steht auch ein neues EU-Gesetz zum Schutz der Bienen, das am 28.4. verabschiedet werden soll. Bienen sind durch den verstärkten landwirtschaftlichen Gebrauch von Pestiziden vom Aussterben bedrohnt. Mehr dazu hier. Ebenfalls eine neue EU-Regelung soll dieser Tage zu Bioziden getroffen werden.
2. Update: Entgegen der Aussage, der “Entwurf sei vom Tisch”, was impliziert, er würde noch einmal grundlegend überarbeitet, ist dieser laut verschiedener Quellen (u.a. Süddeutsche Zeitung) jetzt doch mit wenigen Änderungen so am 6. Mai beschlossen worden. Es wurde lediglich “operator” (was heißt, jeder, der mit Saatgut umgeht) zu “producer” (d.h. professioneller Händler) geändert und laut Spiegel sagte die Kommission, dass die Einschränkungen für Hobbygärtner gekippt seien und auch “kleine Zuchtbetriebe mit bis zu zehn Mitarbeitern und einem Jahresumsatz bis zu zwei Millionen Euro müssten ihre Produkte demnach nicht mehr registrieren lassen.” Laut derStandard sehen 50 Prozent der Österreicher die EU-Saatgutverordnung “eher negativ” oder “sehr negativ”. Nur acht Prozent äußerten sich “eher positiv” oder “sehr positiv”. 30 Prozent sagten zu dem Thema nichts. Die Diskussion um das Thema haben insgesamt 51 Prozent der 500 im April und Mai telefonisch Befragten mitbekommen. Der gesamte offiziell beschlossene Entwurf hier als PDF (Englisch).
(zuerst erschienen im Freitag vom 26.4.2013)