von August 14, 2013 0 Kommentare Mehr →

Bio-Entwickler für Filme: Ein Erfahrungsbericht mit Anleitungen

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Dagie Brundert ist Künstlerin und passionierte Super 8-Filmerin. Durch einen technischen Unfall begann sie sich mit den Hintergründen der Filmentwicklung zu beschäftigen. Jetzt ist sie Expertin für die Filmentwicklung mit Lebensmitteln und Pflanzen.

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Alles begann bei Vollmond

Mein erster selbstentwickelter ORWO (die DDR-Variante von Agfa) – Farbfilm hat geblutet! Und das kam so:

Als die DDR zusammenbrach, wurde sie ausverkauft und ich tigerte öfters rüber zum Haus der Fotografie am Alex, um Restposten zu ergattern, ORWO-Filme in schönen Verpackungen und einen „Russentank“ (Entwicklerdose aus Bakelit aus der Ukraine), den ich noch heute benutze, für 30 Ostmark.

Diese Filme hat, nach Abwicklung des letzten ORWO-Labors 1991 in Berlin-Adlershof, kein Mensch mehr entwickelt. „Macht nix“, dachte ich, „kann ich auch selber“, kaufte mir Westchemie und fädelte meinen ersten Film in die 15-Meter-Spirale. Im Dunkeln natürlich. Nicht wissend, dass man ORWOs bei 27 Grad entwickeln muss, planschte ich ihn 11 Grad wärmer. Als Ergebnis glibberte mir nach der letzten Wässerung, jetzt im Hellen, eine dickflüssige, hell-blutrote, leicht klebrige Schicht vom Film auf die Finger: Losgelöste Farbgelatineschicht. Ich hatte plötzlich ein mysteriöses Gefühl – Vollmondnacht, leicht angenebelt vom Weißwein, den ich gerne beim Entwickeln als Entspannungsritual zelebriere, menstruierte ich nicht auch? Ich erinnere mich nicht mehr genau, aber so begann es.

Ich las nach. Woraus bestehen Filmschichten, wie geht Farbe, was macht Licht, wie wirke ich als Entwicklerin ein – der Zauber des haptischen Analogen krallte mich und trudelt mich jetzt, gut 20 Jahre später, ins Universum der ökologisch unbedenklichen Biosuppen-Entwicklung!

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Die Kaffeerevolution!

Seit einiger Zeit experimentiere ich mit Alternativen zu herkömmlichem, umweltschädlichen Entwickler. Und bin über CAFFENOL gestolpert, einem Schwarzweiß-Negativ-Entwickler, den schon viele Fotografen ausprobiert haben. Es kursieren unterschiedliche Rezepte, jede Menge Erfahrungsberichte und tausende Fotos im Internet, z.B. hier oder hier.

CAFFENOL besteht aus löslichem Kaffee, Vitamin-C-Pulver und Waschsoda. Alle drei bekommt man für wenig Geld um die Ecke: bei Aldi, Lidl, Rossmann und Co. Es empfiehlt sich, die billigste Kaffeesorte zu kaufen, denn da ist am meisten Kaffeesäure drin: schlecht für den Magen, essentiell fürs Entwickeln! Entsorgen kann man die Suppe nach einmaligem Gebrauch einfach ins Klo.

Und wieso geht das?

Das, was ich im Chemieunterricht nie gelernt habe, hole ich jetzt nach: Eine wichtige Komponente in der Schwarzweiss-Entwicklung ist Hydrochinon, ein Phenol, wahrscheinlich ein kleines bisschen krebserregend. Zumindest bei Mäusen. [http://de.wikipedia.org/wiki/Hydrochinon]. Hydrochinon wandelt die belichteten Silbersalze in metallisches (sichtbares) Silber um. Und sorgt für starke Kontraste, fettes Schwarz.

Phenole bzw. natürliche Polyphenole kommen in verschiedenen Pflanzen und Nahrungsmitteln vor: Kaffee, Tee, Rotwein, Kartoffeln, Apfelbeere, Farn, Schwarze Johannisbeere, Pilze, Vanille, Whiskey, Baumrinde, diverse Blumenblüten und so einigen mehr.

kartoffel bioentwickler

So ziemlich amateurhaft mixe ich also obenstehende Pflanzen und Genussmittel (entsafte rohe Kartoffeln, brühe Blüten auf, häcksel und verkoche diverses Grünzeug) und mische (wichtig!) Vitamin C-Pulver (Kontrastvergrößerer, Kornputzer und Lichtklärer) und Waschsoda (Alkali: Beschleuniger, entsauert den PH-Wert) hinzu.

Die Ergebnisse können es auf alle Fälle mit herkömmlichen Entwicklern aufnehmen, da wird nichts schmierig, labberig oder braun, im Gegenteil: Ich bin immer wieder erstaunt, wie fein, graunuancenreich, kontrastig, sensibel die Suppen arbeiten (Favoriten: Kaffee, Kartoffelsaft, Magnolientee, starker bitterer billiger englischer Yorkshire Tea)! Und riechen tun sie auch interessant, ein bisschen kommt man sich wie in einer Alchimistenbrauerei vor, rührend, schnuppernd, Zauberformeln murmelnd.

Kartoffel from Dagie Brundert on Vimeo.

Und wozu der Aufwand?

Super 8 ist ein extrem sexy Material: Es ist warmfarbig, hat unschlagbare Grauwerte und Schwärzen, die man digital nie so hinbekommt, ist partiell geheimnisvoll unscharf, naturkörnig, nicht 100%ig vorhersehbar – selbst Entwickelunfälle können sich als ästhetisches Überraschungswunder entpuppen!

Und: es macht einfach höllisch Spaß, mit Lebensmitteln zu spielen!
Du öffnest eine Flasche wohltemperierten Rotwein, gießt dir ein Gläschen ein, schüttest den Rest in einen Messbecher, fügst Vitamin C und Waschsoda hinzu, rührst um, freust dich über die plötzliche chemische Reaktion, die leicht blubbert, die Suppe um 2 Grad wärmer macht und von rot zu grün-bläulich schiebt, schnüffelst vorsichtig an dem nie zuvor gerochenen Duft und hast das Gefühl, irgendwie ganz nah an (gesunder) Materie, Kunst und Spaß zu sein!

Hier zwei Lieblingsrezepte für 1 Liter:

Kaffee
1 Liter Wasser
54 g Soda
15 g Vitamin-C
40 g Kaffee
(in dieser Reihenfolge aufgelöst!) – 15 min bei 20 oder 21°, leicht bewegen. Danach kurz wässern und mit herkömmlichem Fixierer fixieren.

Blütentee
zwei handvoll Blüten zerschnippeln und mit 1 Liter heissem Wasser übergiessen, auf die gewünschte Temperatur abkühlen lassen, abseihen
20 g Vitamin C
100 g Soda – 33°, 11 min

Noch viel mehr tolle Mischungen gibt es auf Dagi Brunderts Rezeptseite!

Termin:
Workshop mit Dagie Brundert Workshop 23. bis 25. August 2013 Freifeld Festival Oldenburg

Websites
Wabi Sabi Super 8
Website Dagie Brundert
Dagie Brundert bei Vimeo

Vergäpfelweikilöps from Dagie Brundert on Vimeo.

Fotos: Dagie Brundert

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