Geschichte – Plan A http://www.plan-alternative.de nachhaltige Alternativen - für das gute Leben Thu, 07 Jul 2016 21:56:59 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=4.7.3 The Nation: Das progressive US-Magazin wird 150 Jahre / Download Sonderausgabe http://www.plan-alternative.de/index.php/2015/04/03/the-nation-das-progressive-us-magazin-wird-150-jahre-download-sonderausgabe/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2015/04/03/the-nation-das-progressive-us-magazin-wird-150-jahre-download-sonderausgabe/#respond Fri, 03 Apr 2015 12:18:40 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=9370 Das progressive US-Magazin The Nation feiert seinen 150. Geburtstag und ist damit das älteste bis heute existierende Magazin der USA. Eine Sonderausgabe mit den wichtigsten Texten seit der Zeit der Sklavenbefreiung über die Bürgerrechtsbewegung bis zum Kampf gegen den globalen Neoliberalismus, von renommierten Autoren wie Albert Einstein, Martin Luther King und Tony Morrison, ist gleichzeitig auch ein Spiegel der Geschichte von 150 Jahren progressiver Bewegungen der USA.

150th_issue_cover_otu_img_0

Haltung über Profit hat sich für das wöchentlich erscheinende Magazin ausgezahlt: Es wurde gerade 150 Jahre alt. Herausgeberin Katrina vanden Heuvel: „Wir haben überlebt, weil wir immer an Alternativen geglaubt haben.“ Immer sei es um die Verteidigung von Freiheit gegangen, so vanden Heuvel. Das Magazin sei immer mehr als eine Zeitschrift gewesen: eine Diskursplattform für radikalere und gemäßigtere linke, und auch die eine oder andere konservative Stimme, eine Community, eine Plattform für unterdrückte und dissidente Stimmen, für Stimmen aus der Kunst und Kultur.

Das Magazin wurde kurz nach dem Ende des US-amerikanischen Bürgerkriegs und der Ermordung Abraham Lincolns von Abolitionisten gegründet. Zunächst war es noch eng mit der Republikanischen Partei verbunden, wandte sich gegen Ausländer und die Arbeiterbewegung. Erst seit 1918 wurde es zu einem „roten“ Magazin, und während des New Deal in den 1930ern wurde es zur wichtigsten Stimme im Land, das die neue Entwicklung zu einer linkeren Politik unterstützte. In der McCarthy-Zeit hatten die Leser Angst, es offen am Kiosk zu erwerben. Auch die Redaktion fragte sich – wie mehrfach in der Geschichte -, wie man sich in den neuen Gegebenheiten anpasst und welche Rolle das Blatt im gesellschaftlichen Diskurs spielen soll. Auch heute noch sieht sich The Nation als progressive Stimme, die sich in politische Diskurse einmischt und sich kompromisslos für Gerechtigkeit und Freiheit für alle einsetzt.

Von Anfang an gehörten die führenden progressiven Köpfe Nordamerikas und darüber hinaus zu den Autoren, manche, wie James Baldwin, veröffentlichten hier zum ersten Mal; Naomi Klein machte ihre Karriere als Autorin für das Blatt und nutzte ihr Material aus der journalistischen Arbeit für ihre Bücher. Die 268-seitige Sonderausgabe zum Jubiläum ist eine wahre Schatzkiste für Texte, die weit mehr als historische Bedeutung haben. Neben der Papierausgabe ist sie auch als kostenloser Download zu haben.


Website The Nation
Download der Sonderausgabe zum 150. Geburtstag
Interview mit Herausgeberin Katrina vanden Heuvel bei WNYC
Interview mit Herausgeberin Katrina vanden Heuvel bei Democracy Now!

Flattr this!

]]>
http://www.plan-alternative.de/index.php/2015/04/03/the-nation-das-progressive-us-magazin-wird-150-jahre-download-sonderausgabe/feed/ 0
Moment: Blumen für Bersarin http://www.plan-alternative.de/index.php/2014/05/08/moment-blumen-fuer-bersarin/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2014/05/08/moment-blumen-fuer-bersarin/#respond Thu, 08 May 2014 20:07:53 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=6977 blumen bersarin 8 mai (2) 600

Foto: Barbara Mürdter

Ich komme öfter am Bersarin-Platz in Berlin-Friedrichshain vorbei, so auch heute. Wie jedes Jahr lagen dort unter einem Relief an einem Verwaltungsgebäude frische Kränze – als Dank für die Befreiung vom Faschismus und als Erinnerung an die Toten, deren Leben Faschismus, Krieg und der Kampf für eine bessere Welt gekostet haben.

Nikolai Erastowitsch Bersarin war als sowjetischer Generaloberst 1945 der erste sowjetische Stadtkommandant von Berlin. Hier starb er auch am 16. Juni 1945. Als Als Kommandeur der 27. Armee hatte der gelernte Buchbinder, der sich bereit 1918, als Vierzehnjähriger als Freiwilliger zu der gerade gegründeten Roten Arbeiter- und Bauernarmee gemeldet hatte, gegen die Heeresgruppe Nord der deutschen Wehrmacht nach deren Überfall auf die Sowjetunion gekämpft. Von Dezember 1941 bis Mai 1944 war er Oberkommandierender mehrerer Armeen, und wurde bei Wjasma im März 1943 schwer verwundet, weswegen er mehrere Monate im Lazarett lag. Bersarins Stoßarmee erreichte am 21. April als erster sowjetischer Verband den östlichen Berliner Stadtrand bei Marzahn. Als Stadtkommandant setzte er die faschistische Verwaltung ab und sorgte unter sowjetischer Aufsicht für die Wiederherstellung der Ordnung. So organisierte er eine Stadtpolizei, ließ die Gas-, Wasser- und Elektroenergieversorgung in der zum Teil schwer zerstörten Stadt wieder in Gang bringen und vergab Aufträge für die Versorgung der Bevölkerung. Am 16. Juni 1945 starb Bersarin bei einem Motorradunfall in einem LKW-Konvoi in Berlin-Friedrichsfelde, Schloßstraße/Ecke Wilhelmstraße (heute Am Tierpark/Ecke Alfred-Kowalke-Straße), ohne seine Heimat und seine Familie wiederzusehen. Er wurde er auf dem Nowodewitschi-Friedhof in Moskau beigesetzt.

Fast 20 Millionen von Bersarins Landsleuten überlebten den von den deutschen Faschisten angezettelten Krieg nicht. Sechs Millionen der Opfer waren Zivilisten, der Rest von ihnen zumeist junge Männer und auch Frauen, deren Leben noch vor ihnen lag, die ihre Freunde, Familien und Geliebte zu Hause zurückließen, um ihre Heimat zu verteidigen. Insgesamt sind es mehr als 55 Millionen Tote, und hunderte Millionen zerstörter Leben, die uns daran erinnern, dass es keine hohlen Phrasen sind, sondern Schicksale einzelner Menschen, die sich wie wie jeder ein langes und glückliches Leben gewünscht haben, wenn es heißt: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Dieser Satz verjährt nicht, und muss jeder Generation wieder mit auf den Weg gegeben und mit Sinn gefüllt werden.

Flattr this!

]]>
http://www.plan-alternative.de/index.php/2014/05/08/moment-blumen-fuer-bersarin/feed/ 0
Pete Seeger – Die gute Seele Amerikas http://www.plan-alternative.de/index.php/2014/01/30/pete-seeger-die-gute-seele-amerikas/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2014/01/30/pete-seeger-die-gute-seele-amerikas/#respond Thu, 30 Jan 2014 12:42:12 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=5910 Seinen politisch und vielleicht auch menschlich erfüllendsten Moment erlebte Pete Seeger wohl bei der Amtseinführung Obamas 2009. Der alte Herr stand an diesem kalten Januarnachmittag mit seiner bunten Bommelmütze vor dem Capitol, hinter ihm ein Chor aus jungen Amerikaner/innen jeglicher ethnischer Herkunft. Neben ihm ein aus seiner Perpektive jungen Mann, mit dem er nicht nur die Bühne, sondern auch eine Vision teilte: Bruce Springsteen.

Gemeinsam sangen sie vor einem weltweiten Publikum einen Song seines alten Freundes Woody Guthrie – This Land Is Your Land. Seeger hatte darauf bestanden, dass sie alle sechs Strophen singen, auch die, welche bei dieser heimlichen zweiten Nationhymne der USA meistens weggelassen werden. Darin geht es darum, dass die Menschen in diesem reichen Land in Suppenküchenschlangen stehen müssen. Inspiriert von der Großen Depression der 1930er, waren diese Zeilen in der Finanzkrise wieder hoch aktuell, ebenso die Zeilen, die an einer grundamerikanischen Idee kratzten, der vom Privateigentum: „A sign was painted said: Private Property /But on the back side it didn’t say nothing / This land was made for you and me.“ Hier stand Seeger und konnte im Zentrum der Macht ungehindert von den Werten erzählen, für die er sein Leben lang gekämpft hat, oft gegen heftige Widerstände und unter schweren staatlichen Repressionen. Jetzt war er auf Einladung des Präsidenten hier, des ersten Afroamerikaners im Weißen Haus, in den viele Progressive enorme Hoffnungen steckten.


 

Ein Mann aus einer anderen Zeit

Pete Seeger stammte aus einer anderen Zeit. Er war geprägt von den sozialen und politischen Kämpfen der Großen Depression, der US-amerikanischen Ausformung der Weltwirtschaftskrise, die sich von den frühen 30ern bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs hinzog. In dieser Zeit erlebte das Land einen politischen Linksruck: Der ungezügelte Kapitalismus hatte offensichtlich versagt und Leid über die Menschen des Landes gebracht. Die gerade geborene Sowjetunion schien vielen als eine gesellschaftliche Alternative. Kommunisten und andere Linke organisierten starke Gewerkschaften – die mächtigste wurde die radikale CIO, die auch die Ungelernten, frisch Eingewanderten und Nichtweißen ohne Einschränkungen aufnahm. Auch viele Künstler/innen sympathisierten mit linken Idealen.

Der neue Präsident Franklin D. Roosevelt trug dem Rechnung. Er schaffte zwar den Kapitalismus nicht ab, sondern rettete ihn quasi, aber er setzte neben den wirtschaftlichen viele wichtige soziale Reformen durch, die in Europa zum Teil schon lange Standard waren. Er bestrafte zudem die Banker und ordnete ein gewaltiges staatliches Arbeitsbeschaffungsprogramm an, das auch Künstler/innen förderte. Viele Künstler/innen sahen sich wiederum als Teil einer Bewegung, die die Gesellschaft verändern, eine bessere Zukunft schaffen will, Autor/innen, Regisseur/innen und Musiker/innen. Zu diesen gehörte der junge Pete Seeger. Es war eine Zeit vor dem Zynismus, die Musik war in der Folkszene so sehr mit ehrlichem politischem Engagement verbunden, dass die weniger politischen Musiker, die traditionelle ländliche US-amerikanische Musik pflegten, sich später mit der Bezeichnung „Country“ abgrenzten, um nicht in Kommunismusverdacht zugeraten.

Foto: Wikipedia / LOC

Pete Seeger 1955 Foto: Wikipedia / LOC


 

Sowohl seine Musik als auch seine Haltung hatte Seeger bereits mit in die Wiege gelegt bekommen: Er war ein so genantes Red-Diaper-Baby, ein in roten Windeln gewickeltes Baby, wie man Leute nannte, deren Eltern überzeugte Kommunisten waren. Seine Eltern kamen aus alt eingesessenen Neu England-Familien, deren Vorfahren bis zur Mayflower zurückreichten und sie so quasi zu amerikanischem Adel machten. Charles Seeger war ein in Harvard und Köln klassisch ausgebildeter Musiker. In Mexiko City geboren, wo sein Vater ein Geschäft hatte, wurde er durch die mexikanische Revolution Anfang des Jahrhunderts politisiert, noch mehr unter dem Eindruck des 1. Weltkriegs. Auch Mutter Constance war Musikerin und Komponistin.

Sein Vater sprach sich eher zum Leidwesen der Mutter laut und öffentlich für politische und soziale Gerechtigkeit aus. Er redete nicht nur, er handelte auch: Als Seeger ein Baby war, unternahm die gesamte Familie auf Geheiß des Vaters waghalsige Planwagen-Fahrten in die ländlichen Gebiete der Ostküste. Hier wollte er die einfachen Farmer von der glückseeligmachenden Wirkung moderner klassischer Musik überzeugen. Später versuchte Seeger Senior das auch bei den Arbeitern. In beiden Fällen musste er feststellen: Die Leute haben ihre eigene, ebenso gute Musik, mit der sie auch viel mehr anfangen können.
 

Politische Folkmusik als Lebensinhalt

Seeger Junior wandte sich selber recht schnell der ländlichen US-amerikanischen Folklore zu. Nach einen abgebrochenen Harvard Studium begann er Ende der 1930er für Alan Lomax zu arbeiten, der seinem Vater, dem Folkforscher John Lomax, nacheiferte und die Folkabteilung der Library of Congress leitete. Der hatte gerade eine Riesenladung alter Schellackplatten gerettet, die CBS entsorgen wollte, weil sie keiner mehr haben wollte. Seegers Aufgabe war es, diese tausenden 78er-Scheiben durchzuhören, nach Qualität zu beurteilen und nach Art zu sortieren.

Dann kam eins zum anderen: Anfang 1940 lernte er den sieben Jahre älteren Woody Guthrie kennen, einen schrägen, wilden Typen, der gerade Mitten im Winter einmal quer durch die USA nach New York getrampt war. Dieser Frauenheld, der sich nie wusch und sich als abgerockter Hobo gerierte, war eine weitere Offenbarung für den schüchternen, trotz aller Merkwürdigkeiten wohlbehütet-gutbürgerlich aufgewachsenen jungen Seeger. Das ganz Besondere war: Dieser Guthrie stammte wirklich mehr oder weniger vom Land, aus dem Mittelwesten. In Wirklichkeit zwar aus einer Mittelklassefamilie, und aus der Kleinstadt, aber er wusste den einfachen Farmer zu geben, der das Idol der urbanen Ostküsten-Folkszene war. Mit Guthrie reiste Seeger bald selbst als Hobo durch die USA, lernte, aus fahrenden Zügen zu springen, und die Tricks, als Straßen-Musiker Leute für sich zu begeistern. Sie schrieben gemeinsame Songs wie das mitreißende Gewerkschaftslied Union Maid.

Woody_Guthrie

Woody Guthrie // Foto: Library of Congress


 

Die beiden unterschiedlichen Männer wurden lebenslange Weggefährten. Im Sommer nach ihrer erste Bekanntschaft hatte sich der junge Seeger bei diversen ländlichen Festivals bei den Farmern die Technik abgeschaut, wie man das fünfsaitige Folkbanjo mit dem langen Hals richtig spielte. So gewann er musikalische Souveränität und konnte es mit dem routinierten Guthrie aufnehmen. Zunächst spielten sie ab 1941 gemeinsam in den Almanac-Singers, die politische Folkmusik in New York und darüber hinaus bekannt machten.

Damals waren Akustikgitarren, die man durch die Stadt trug, noch so ungewöhnlich wie ein achtköpfiges Tubaorchester, und Seeger sagte, dass Guthrie der erste gewesen wäre, den er mit einer Jeans als Alltagskleidung gesehen hätte. Sie lebten mit ihrem Mitmusiker/innen in einer Kommune nahe dem Central Park, wo sie regelmäßig im Keller für einen kleinen Mitzuschuss öffentlich musizierten, in so genannten Hootenanny. In der Gemeinschaftskasse fand sich trotzdem oft selbst im strengsten Winter nicht genug Geld für die Heizung. Zunächst sangen sie strikt Antikriegssongs, weil sie die Krieg als kapitalistische Profitmaschine sahen – mit Hitlers Überfall auf die Sowjetunion schwenkten sie doch im Sinne des Antifaschismus auf Patriotismus um. Damit waren damit sie kurzfristig nicht nur ganz weit vorn, weil sie schnell aktuelle Songs produzierten, sondern auch sehr beliebt.

Schon davor waren sie auf eine selbst organisierte USA-Tour gegangen, bei der sie nur auf Gewerkschaftsveranstaltungen sangen. Hier machten sie die Erfahrung, dass man sich als urbane/r Mittelklässler/in nicht unbedingt Freunde macht, wenn man sich einfach kleidet wie die Fabrikarbeiter/innen. Die hatten sich für den Anlass nähmlich ihren Sonntagsstaat angezogen und fühlten sich verspottet. Auch die Agentin des FBI, die der Tour heimlich folgte, fand die Band schmuddelig. Es war aber die kommunistische Haltung, die den FBI zum Anlass nahm, ihre Karriere zu torpedieren, als sie schon einen Vertrag mit Decca in der Tasche hatten. Dieses hatte nach längereren bürokratischen Stockungen wie z.B. Platten als „Beweisstücke“, die beim Transport zerbrochen waren, die frühen „unpatriotischen“ Antikriegssongs entdeckt und lancierten eine Zeitungskampagne gegen die Band.


 

Kommerzieller Erfolg und antikommunistische Repressionen

Dann kam der Krieg. Seeger diente im Pazifik, wo er Musik-Workshops gab und Truppenunterhaltung machte. Nach dem Krieg fanden er, Guthrie und andere aus der alten Szene sich wieder zusammen. Und es kam einen neue Generation dazu. Mit People’s Songs gründete man eine Gewerkschaft für Folkmusiker/innen, die auch ein Magazin herausgab und Jobs vermittelte. Zunächst war auch sie sehr erfolgreich, bis wieder die antikommunistische Politik einen Strich durch die Rechnung machte. Der bis heute gültige Taft Hartley Act von 1947 verbot das Engagement von Kommunisten in den Gewerkschaften. Das war das Ende des Geschäftsmodells von People’s Songs, da die kommunistisch geprägten Gewerkschaften ihre Kooperationspartner waren. Jetzt wollte man niemanden mehr engagieren, der mit Kommunismus in Verbindung stehen könnte. Seeger war kurz davor, das Banjo an den Nagel zu hängen und als Arbeiter in einer Dosenfabrik anzufangen, weil er schlichtweg nichts mehr zu Essen hatte und seine Miete nicht mehr zahlen konnte.


 

Da kam ein neues kleines Wunder in sein Leben: Mit seiner neuen Band, The Weavers, hatte er einen völlig unerwarteten Radiohit; Goodnight Irene, geschrieben von seinem Freund, dem afroamerikanischen Musiker Leadbelly. Die Weavers, die sich unpolitischer, kommerziell aufgehübschter globaler Fokmusik verschrieben hatten, wurden plötzlich zu unfasslichen Gagen in die besten Clubs der USA eingeladen. Doch auch hier fielen ihnen auf der Höhe ihrer Popularität die früheren politischen Aktivitäten einzelner Mitglieder auf die Füße: Die finstersten Tage der McCarthy-Zeit hatten begonnen, auch zur Freude des FBI-Chefs J. Edgar Hoover, der schon seit dessen Gründung 1924 auf eine antikommunistische Politik gesetzt hatte.

Künstler/innen, Regisseur/innen und Publizist/innen mit vermeintlichen oder tatsächlichen Sympathien für kommunistische Ideale wurden nun, Anfang der 50er, im ganzen Land auf schwarze Listen gesetzt. Sie verloren ihre Lebensgrundlagen, da niemand sich mehr traute, mit ihnen zu arbeiten. 1955 gelang den Weavers aufgrund des Engagements ihres Managers Harold Leventhal noch einmal ein sensationelles Comeback: Obwohl niemand Räumlichkeiten an Künstler/innen vermieten wollte, die auf der schwarzen Liste standen, gelang es diesem, nicht nur die berühmte New Yorker Carnegie Hall zu bekommen, sondern diese auch innerhalb kürzester Zeit auszuverkaufen. Das Konzert schnitt Leventhal auf eigene Kosten mit. Es wurde später, auf Vinyl gepresst, zum Zeitzeugnis für folgende Generationen.

Foto: Damien Drake

Foto: Damien Drake


 

Saat einer neue Folkmusikgeneration

Bald darauf stand Seeger kurz davor, für lange Jahre ins Gefängnis zu gehen: Er war als Zeuge vor das berüchtigte Büro für unamerikanische Tätigkeiten geladen worden und hatte gewagt, die Aussage zu verweigern – und zwar nicht, weil er sich damit selber gefährden könnte, sondern er berief sich auf die im First Amendment verankerte Meinungsfreiheit. Das wurde als Affront gegen den Ausschuss bewertet. Er entkam dem Gefängnis, aber durfte nur noch für Kinder spielen, weil man ihn dort für ungefährlich hielt. Und er spielte an den Colleges und Universitäten im ganzen Land. Der linke Radiomoderator Studs Terkel sagte später dazu, dass Seeger bei jedem der zahlreich nachfolgenden jungen Folksänger/innen seine Spur hinterlassen hätte, wie das „Kilroy“, dass die US-Soldaten überall hingeschrieben haben, wo sie im 2. Weltkrieg durchgezogen waren.

Seeger hatte in seinem Repertoire eigene Lieder wie das später von den Byrds gecoverte Turn Turn Turn, das auf einem ukrainischen Volkslied basierende Where Have All The Flowers Gone und seit 1967 auch das vom Vietnamkrieg und von einen im ersten Weltkrieg gefallenen poetisch veranlagten Onkel inspirierte Waist Deep in the Big Muddy. Aber er popularisierte vor allem Songs von anderen: Malvina Reynolds‘ Little Boxes über die Konsum-Gleichschaltung der 50er, die Songs der schwarzen Bürgerrechtsbewegung wie We Shall Overcome, Gewerkschaftslieder wie Florence ReeceWhich Side Are You On, und immer wieder die Songs seines alten Kumpels Woody Guthrie, den er nie müde wurde zu preisen, während dieser von der Corea Huntington gezeichnet in verschiedenen Krankenhäusern dem Tode entgegensiechte.


 

Seeger spielte viel im Ausland, wo es keine Beschränkungen und Vorbehalte gegen ihn gab, vor allem in Europa, wo er ein gern gesehener Gast war – nicht nur im Ostblock. Er machte eine Weltreise mit seiner Familie, auf der er mit seiner Frau und seinem ältesten Sohn auch ethnologische Aufnahmen von traditioneller Folkmusik aus aller Herren Länder machte. Ende der 50er fiel die USA langsam aus dem bleiernen Schlaf des Antikommunismus. Eine neue Folkszene, die eine Dekade unter dem Radar geschlummert hatte, kam aus ihrem Versteck gekrochen. Sie war weniger politisch als ihre Vorgänger, es ging mehr als Lebensstil. Jedoch gab es eine vage linke, progressive Haltung und viele schlossen sich dem Kampf gegen die Ungleichbehandlung der Afroamerikaner an, der die 50er und 60er als politisches Thema bestimmte.

Seeger war überall dabei und durchaus geschätzt, aber der Held der Jungen war Woody Guthrie: Der lockenköpfige Draufgängertyp mit Jeans und Karohemd war der coolere Typ, nicht der nette, brav wirkende Seeger, ein dürrer langer Nerd mit einem komischen Banjo. Aber sie kannten all die Songs durch Seeger, und er war im Gegensatz zu Guthrie weiter präsent: Er wurde Anfang der 60er Mitorganisator des Newport Folk Festivals und Ende des Jahrzehnts luden ihn von mutigeren, aufgeschlosseneren Kolleg/innen wie Johnny Cash auch wieder in Fernsehshows ein. Er hatte sogar kurzfristig eine eigene Sendung. Aber er erfuhr auch weiterhin Zensur und Ausgrenzung, so weil er sich gegen den Vietnamkrieg engagierte und mit dem Feind, den Viet Cong und den kommunistischen Nordvietnamesen sympathisierte.


 

Viele scherten sich einen Dreck darum, aber der Ruf des Kommunisten hing Seeger immer nach und polarisierte. Er selber hatte sich in den der 50ern von der Kommunistischen Partei entfernt, ohne kommunistische Ideale aufzugeben. Ihm wurde vorgeworfen, dass er sich angeblich erst in den 90ern deutlich von den stalinistischen Verbrechen distanziert hätte. Er konterte mit zwei Gegenargumenten: Jemand wie er, der seine Meinung frei heraus sage und sich für Gerechtigkeit einsetzt wäre als einer der ersten von Stalin inhaftiert worden. Und dann müsse sich doch auch nicht jeder Christ ständig für die Verbrechen der Inquisition rechtfertigen. Seeger stellte fest, dass Meinungsfreiheit und eine freie Presse notwendig seien, damit sich ein Staat sich nicht in Richtung Totalitarismus bewege.
 

Vorreiter im Umweltschutz und Chronist einer vergangenen Ära

In seinen späteren Jahren kam ein weiteres wichtiges Thema zentral in sein Leben: Der Umweltschutz, konkret der im Hudson River. Seeger hatte sich bereits als junger Familienvater gemeinsam mit seiner Frau ein Haus am Fluss gebaut. Dieser verkam mehr und mehr zur Kloake, in der man vor lauter chemischer Verunreinigung kaum noch baden konnte. Die Fische starben. 1966 gründete er mit anderen engagierten Mitstreiter/innen Clearwater. Mit einem Retro-Boot wurde interessierten Menschen die Schönheit des Flusses gezeigt, und auch die Bedrohung durch die ungereinigten Abwässer. So sollten sie bewogen werden, sich für die Reinhaltung des Flusses einzusetzen. Effektiv und sehr erfolgreich wurden die schlimmsten Quellen der Verunreinigung beseitigt und wegweisende lokale und nationale Gesetze zum Gewässerschutz erzwungen, wie der Clean Water Act von 1972. Clearwater hat heute einen internationalen Ruf als wegweisendes Umweltschutzprojekt und wird von einer jüngeren Generation weiter geführt.


 

Auf seine alten Tage wurde Seeger, inzwischen eine nationale Ikone, vor allem zum Chronisten. Seine Geschichten, aber auch seine Songs, waren gerade in der Zeit nach der Finanzkrise wieder besonders gefragt. Sie boten Möglichkeiten eines anderen Amerika, einer anderen Welt an, nach der man nach dem Zusammenbruch dringend suchte. Sie boten Alternativen zur angeblichen Alternativlosigkeit des Neoliberalismus. Auch wenn er in den letzten Jahren kaum noch sang, weil seine Stimme nicht mehr mitmachte, gab er geduldig unzählige Interviews. Bruce Springsteen, der sich nach dem Beginn des Zweiten Irakkriegs entschlossen hatte, seine linke Grundhaltung nicht mehr hinter den Berg zu halten, ehrt ihn und den Geist der Folk-Musik der 1930er schon 2006 mit einem Tribut, The Seeger Sessions. Seeger und Woody Guthries Sohn Arlo schlossen sich der Occupy-Wallstreet-Bewegung an, die die alten Kampflieder wieder entdeckten.

Seeger feierte 2012 mit seinen noch lebenden Weggefährt/innen und jüngeren Nachfolger/innen und Fans den 100. Geburtstag seines Freundes Woody Guthrie. Im vergangenen Jahren starb seine geliebte Frau Toshi, die ihn über 70 Jahre durch alle Höhen und Tiefen begleitet hatte und ihn dabei unterstützte, seine Visionen und Ideen umzusetzen. Sie sagte einmal: „Wenn er wenigstens anderen Frauen hinterherjagen würde anstatt Ideen – dann hätte ich einen Grund, ihn zu verlassen.“ Die Seegers sind ein zäher, langlebiger Clan – aber jetzt war es offenbar auch für ihn Zeit zu gehen. Er hinterlässt eine große Schar an Kindern, Enkeln und Urenkeln unterschiedlichster ethnischer Mischungen. Sein größtes Vermächtnis sind die Folksongs, und der Geist, der in ihnen steckt.

Zuerst veröffentlicht auf Popkontext.de

Flattr this!

]]>
http://www.plan-alternative.de/index.php/2014/01/30/pete-seeger-die-gute-seele-amerikas/feed/ 0
Das Archiv von Albert Kahn – ein Viertel Jahrhundert Zeitgeschichte http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/11/21/das-archiv-von-albert-kahn-ein-viertel-jahrhundert-zeitgeschichte/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/11/21/das-archiv-von-albert-kahn-ein-viertel-jahrhundert-zeitgeschichte/#respond Thu, 21 Nov 2013 00:09:28 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=3709 Albert Kahn lebte von 1860 bis 1940 in Frankreich. Der Banker war mehrere Jahrzehnte einer der reichsten Menschen Europas. Er hatte keine Kinder und ging beim Bankencrash 1929 pleite. Aber er hinterließ ein unschätzbares Erbe für die Menschheit: Eine Sammlung von 72 000 Farbfotos und 183 000 Meter Film, in denen das Leben in Europa und der Welt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts festgehalten ist.

Foto: Georges Chevalier 1914 / Musée Albert Kahn

Foto: Georges Chevalier 1914 / Musée Albert Kahn

Vom Viehändlersohn zum reichen Banker

Im Elsass als Sohn eines jüdischen Viehhändlers geboren, ging er mit 19 Jahren nach Paris, um sein Glück zu machen. Er machte eine Banklehre, studierte aber abends Literaturwissenschaft und Jura. Sein Tutor war der nur ein Jahr ältere Autor und Philosoph Henri Bergson, der zu einem lebenslangen Freund wurde.

1884 wurde Kahn als Jurist zugelassen. Acht Jahre später wurde er Direktor und Teilhaber des renommierten Bankhauses Goudchaux, damals eines der größten Europas. Kurz danach erwarb er ein Landgut in Boulogne-Billancourt bei Paris. Hier ließ er einen Garten, den Les Jardins du Monde, mit englischen, französischen und einen japanischen Elementen einrichten, die in ihrem Zusammenspiel seiner Vorstellung von harmonischer Völkerverständigung entsprachen. Der Garten wurde ein Treffpunkt der großen, vor allem französischen und europäischen Intellektuellen seiner Zeit; so empfing er hier u.a. Albert Einstein, Austen Chamberlain, Raymond Barrès, Paul Valéry, Anatole France und Auguste Rodin.

Die Archive des Planeten

1909 kam ihm auf einer Geschäftsreise nach Japan die Idee zu seinem Lebensprojekt, den Archives de la planète. Er hatte sich, u.a. angeregt durch seinen Chauffeur, schon zuvor für Farbfotografie, das damals brandneue Autochrome Lumière, und auch den Film, den ebenfalls die Lumière-Brüder Ende des 19. Jahrhunderts in verwendbarer Form entwickelt hatten, interessiert.

Jetzt wollte er Fotografen beauftragen, das Leben in einer Zeit zu dokumentieren, von der er sich absolut bewusst war, dass sich die Welt im Umbruch befand. Mit der fortschreitenden industriellen Revolution verschwanden die letzten Reste des traditionellen bäuerlichen Lebens, durch die fortschreitende Transporttechnik wuchs die Welt mehr und mehr zusammen. Kahn wollte das verschwindende Landleben dokumentieren, sowie die Völkerverständigung vorantreiben, indem er Bilder aus allen Ecken Europas und der Welt für seine Landsleute sichtbar machte.

Dabei ging es ihm nicht darum, aktuelle Neuigkeiten und Sensationen präsentieren, sondern er wollte einen dokumentarisch-soziologischen Blick. Er reiste selber durch den Kontinent und in die Welt hinaus, aber vergab auch Stipendien an Fotograf/innen, die er für passend hielt und ermöglichte ihnen so die Reisen und die Verwirklichung entsprechender Projekte.

Einzigartige Dokumentation

In 22 Jahren sammelte er eine einzigartige Dokumentation seiner Zeit: Das ländliche Leben in Europa, aber auch den Weltkrieg und andere prägende Ereignisse davor und danach, vom Untergang des Osmanischen Reichs bis zum Deutschland in der Inflationszeit. Seine Bilder sind Zeugnisse des Alltags und historischer Vorgänge, die die Zeit von vor 100 Jahren, das Leben unserer Großeltern, greifbar machen, historischen Fakten ein Gesicht geben, und zugleich zeigen, wie viel sich geändert hat.

Nachdem Kahn 1930 in Folge des Schwarzen Freitag sein gesamtes Vermögen verlor, musste er das Projekt abbrechen. Er lebte noch zehn Jahre auf seinem Landgut, dessen Garten vom Staat übernommen und weiter gepflegt wurde. Kurz nach der Okkupation Frankreichs durch die Nazis starb Kahn. Seit 1986 werden seine Bilder und Filme in einem staatlichen Museum in der 14 Rue du Port, Boulogne-Billancourt, Paris, gezeigt, in seinem Garten, der immer noch auf vier Hektar existiert. 2008 veröffentlichte die BBC in Zusammenarbeit mit dem Musée Albert Kahn eine mehrteilige Dokumentation, in der sie anhand von Fotos und Filmen die Geschichte der Zeit erzählt, The Wonderful Worl of Albert Kahn. Begleitend erschien ein Bildband.

The Wonderful World of Albert Kahn (English)
Musée Albert Kahn (Français)

Flattr this!

]]>
http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/11/21/das-archiv-von-albert-kahn-ein-viertel-jahrhundert-zeitgeschichte/feed/ 0
Emmett Till und Trayvon Martin – Symbolfälle für die rassistische Justiz in den USA http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/16/emmett-till-und-trayvon-martin-symbolfalle-fur-die-andauernde-rassistische-justiz-in-den-usa/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/16/emmett-till-und-trayvon-martin-symbolfalle-fur-die-andauernde-rassistische-justiz-in-den-usa/#respond Tue, 16 Jul 2013 10:28:41 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=797 Viele US-amerikanische Social Media User änderten am Wochenende ihr Profilbild zu dem eines freundlich und neugierig dreinschauenden, adretten Jungen mit Hut im 50er Jahre Stil. Es war ein Protest auf den Freispruch von George Zimmerman, der am Abend des 26. Februar 2012 in Florida den unbewaffneten Jugendlichen Trayvon Martin erschossen hatte.

Der Fall hatte von Anfang an Schlagzeilen gemacht, da der Nachbarschaftswächter Zimmermann auf das in Florida sehr weitreichende Recht auf Selbstverteidigung (Stand Your Ground) pochte: Er habe sich von dem jungen Mann angegriffen gefühlt. Aufgrund dieser Aussage sollte es zunächst gar keine Anklage geben. Erst nach massiven Protesten wurde der Mörder vor Gericht gestellt. Von Anfang an sahen Beobachter/innen in dem Fall eine Fortsetzung der rassistischen Justiz, die in den USA eine lange Tradition hat, die bis heute anhält. George Zimmerman gilt trotz schwarzer Vorfahren und seiner ethnischen Einordnung als „Hispanic“ als Vertreter der weißen „Rasse“ (und sieht sich als solcher), Trayvon Martin war Afroamerikaner und trug zudem noch eine Kapuzenjacke. Für viele in rassistischen Stereotypen denkende US-Amerikaner reicht das aus, verdächtig genug zu sein, um als potentielle tödliche Gefahr wahrgenommen zu werden. Die Befürchtung, dass es sich hier um ein rassistisch motiviertes einseitiges Verfahren handelt, wurde nicht nur in dessen Verlauf, sondern nun auch durch das Urteil, den Freispruch in allen Anklagepunkten, bestätigt.

emmett till

So fühlten sich viele an den Mord an dem 14jährigen Emmett Till aus Chicago und dem darauffolgenden Prozess gegen dessen Mörder erinnert, der zu einem Symbol des Rassismus in den US-amerikanischen Südstaaten wurde. Till hatte im Sommer 1955 Verwandte in Mississippi besucht. Er war in der vergleichsweise liberalen Großstadt im Norden aufgewachsen und mit den in den Südstaaten verbreiteten Verhaltensweisen besonders auf dem Land nicht vertraut. Hier hüteten sich Schwarze noch vor jeder vermeintlich falschen Geste gegenüber Weißen und verhielten sich in ihrer Gegenwart unterwürfig, weil sie Lynchjustiz befürchteten. Als Till bei einem Einkauf in lokalen Laden der weißen Besitzerin keck zeigte, dass er sie attraktiv fand, ahnten seine Begleiter schon Schlimmes. Das geschah dann auch – wenige Tage später verlangten der Ladenbesitzer und sein Halbbruder von den Verwandten die Herausgabe des Jungen, um ihn zu bestrafen. Obwohl die Verwandten Geld boten, sich unterwürfig gaben und entschuldigten, wurde Till verschleppt. Kurz darauf wurde seine schwer misshandelte Leiche in einem Fluss gefunden.

Da in dieser Zeit die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung an Kraft gewann und sich Tills Mutter auch für eine Beerdigung in Chicago stark machte, wurde der Fall einer breiten Öffentlichkeit bekannt und eine symbolische Bedeutung. Tills Sarg folgten 50 000 Menschen, um gegen den Rassismus in den Südstaaten zu protestieren. Als besonders einprägsam wurde beschrieben, dass der Sarg in der Kirche offen war und jeder aus der langen Schlange an Menschen, die ihm die letzte Ehre erwies, sehen konnte, wie grausam das Kind zugerichtet war. Seine Geschichte erschien im Jet Magazine, einem populären Magazin für Afroamerikaner, und wurde bald nicht nur landes-, sondern weltweit von den Medien aufgegriffen.

Trotz aller Empörung und der riesigen öffentlichen Aufmerksamkeit auch beim Gerichtsprozess wurden die Mörder unter den abstrusesten Behauptungen freigesprochen. Die Zeug/innen der Anklage waren zuvor massiv bedroht worden – nur die Mutigsten sagten vor dem Gericht aus, wie Tills Onkel und seine Mutter. Diese hatte Berge an Drohbriefen erhalten und berichtete, dass bei jedem Weg durch den Ort Väter mit ihren teilweise noch kleinen Söhnen aus dem Fenster lehnten und sie unter Drohungen und Gelächter mit entsicherten Waffen bedrohten. Die Täter fühlten sich so sicher, dass sie nur wenige Monate später ihr Geständnis für 4000 US-Dollar an das populäre Look Magazine verkauften. Tills Mutter reiste seitdem bis zu ihrem Tod 2003 durchs Land, um über den Fall ihres Sohnes und den Rassismus in den USA zu sprechen. In den 2000ern griff der Filmemacher Keith Beauchamp den Fall für seinen Dokumentarfilm The Untold Story of Emmett Louis Till noch einmal auf, was zu einer erneuten gerichtlichen Untersuchung führte. Aufgrund seiner Recherchen geht Beauchamp von mindestens zehn Tatbeteiligten aus – als Hauptverdächtige gilt die Ladenbesitzerin, der Till damals hinterhergepfiffen haben soll.

Der Fall Emmett Till und die Proteste darum waren neben dem von Rosa Parks initierten Montgomery Bus Strike wenige Monate später der Beginn der landesweiten Bürgerrechtsbewegung, die die rassistischen Gesetze und die Segregation letztendlich hinwegfegte und formale Gleichberechtigung für Afroamerikaner schuf.

Durch die Abschaffung der formalen rechtlichen Diskriminierung wurde die Lebenssituation von Afroamerikaner/innen deutlich verbessert, im Alltag und in den beruflichen Chancen. Der strukturelle Rassismus und der Rassismus im Alltag, besonders in den Südstaaten, ließ sich jedoch nicht einfach durch Gesetze abschaffen. Haltungen wurden über die Generationen weitergegeben. So gab es vor kurzem einen Aufschrei als bekannt wurde, dass es bis heute in einigen Orten noch segregierte Schulabschlussfeiern gibt, obwohl seit den 1950ern die Schulen selber laut Gesetz nicht mehr nach Hautfarbe trennen dürfen. Der Schauspieler Morgan Freeman, der in Charleston, Mississippi lebt, finanzierte 2008 eine Schulabschlussfeier in seinem Ort, um die Jugendlichen gemeinsam feiern zu lassen. Die entstehenden Konflikte wurden in dem sehenswerten Dokumentarfilm Prom Night in Mississipi festgehalten, der die aktuellen Spannungen zwischen weißen und schwarzen Bewohner/innen widerspiegelt, sowie ihre unterschiedlichen Haltungen (anschauen).

Auch auf juristischer und staatlicher Ebene finden sich bis heute noch immer klare Belege für die Diskriminierung von Afroamerikanern. Prominent waren die Unstimmigkeiten bei der Wahl im Jahr 2000, bei der z.B. in Florida tausende Afroamerikanern aktiv bei der Abgabe ihrer Stimmen behindert bzw. diese nicht gezählt wurden. Auch die Zahlen der inhaftierten Afroamerikaner und die Schwere der Urteile sprechen noch immer eine klare Sprache von „Rassen“- und auch Klassenjustiz (ein paar Zahlen und Fakten hier). So wurde im vergangenen Jahr eine afroamerikanische Frau aus Jacksonville, Florida zu 20 Jahren Haft verurteilt. Sie hatte lediglich Warnschüsse auf ihren Ehemann abgeben, der sie nach ihrer Aussage bedroht hatte. Auch sie hatte sich auf das Stand Your Ground-Gesetz berufen, ihr Recht auf Selbstverteidigung.

Der Fall von Trayvon Martin wurde so zum Symbolfall für die andauernde Diskriminierung von Afroamerikanern in der US-Gesellschaft. Immer noch gelten schwarze Jugendliche als potentielle Gewalttäter, wie auch die Statistiken der umstrittenen Stop and Frisk-Praxis (Aufhalten wegen Verdacht auf eine Straftat) belegen – und ist der Straftäter weiß, kann er mit einem milderen Urteil rechnen. Das Gerichtsurteil am Samstag führte zu massiven Protesten, wobei die befürchteten unkontrollierte Gewaltausbrüche in den afroamerikanischen Communities ausblieben. Neben zumeist friedlichen Protesten äußerten sich viele mehr oder weniger Prominente kritisch zum Thema – zum Rassismus, der dem Urteil zugrunde liegt, und ebenso zum Thema Waffengebrauch in vermeintlichen Verteidigungssituationen bei sehr subjektiv gefühlter Bedrohung. Die Proteste führten dazu, dass der Fall noch ein Nachspiel hat: Bereits am Sonntag wurde bekannt, dass sich wohl im Rahmen einer Zivilklage das Justizministerium des Falls annehmen wird.

Flattr this!

]]>
http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/16/emmett-till-und-trayvon-martin-symbolfalle-fur-die-andauernde-rassistische-justiz-in-den-usa/feed/ 0
Woody Guthrie zum 101. Geburtstag! http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/14/woody-guthrie-zum-101-geburtstag/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/14/woody-guthrie-zum-101-geburtstag/#respond Sun, 14 Jul 2013 15:58:44 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=756 Heute würde der US-amerikanische Musiker Woody Guthrie seinen 101. Geburtstag feiern. Er war vor allem in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aktiv, einer Umbruchszeit in den USA. Die Wirtschaftskrise erschütterte das Land schwer, dazu kam eine Naturkatastrophe im Mittleren Westen, Guthries Heimatregion. Durch eine verheerende Dürre mussten viele Framer, die ohnehin in der Schuld der Banken standen, ihr Land aufgeben und anderswo ein Auskommen suchen.

Bild: LOC

Bild: LOC


Politische Radikalisierung in harten Zeiten

Guthrie selbst war zwar kein Farmer, sondern verdiente sein Geld als Musiker, Schildermaler und Gelegenheitsarbeiter. Aber er begann sich immer mehr mit dem Schicksal seiner Landsleute zu identifizieren, als er beim Radiosender KFVD in Los Angeles eine Radiosendung machte, deren Hauptpublikum Immigranten aus seiner Heimat waren, die ihr Glück wie er in der großen Stadt suchten. Los Angeles erlebte zu dieser Zeit eine starke Politisierung: Der neu gewählte Präsident Franklin D. Roosevelt hatte als Reaktion auf die Wirtschaftskrise einen bis dahin nie, und auch später nicht wieder, gekannten Linkskurs in der Politik eingeschlagen, als Antwort auf die Stimmung in der Bevölkerung. So erlaubte er 1935 in einem neuen Gesetz die freie Wahl der Gewerkschaften. Viele Linke, oft Kommunisten, begannen die Arbeiter in radikaleren Gruppen zu organisieren. Es gab landesweit Arbeitskämpfe und auch die Politik in Los Angeles und Kalifornien wandelte sich von extrem konservativ zum Liberalen.

Guthries Radiosender bot vielen der neuen und alten linken und progressiven Gruppen Sendezeit an. Guthrie selbst wurde durch seine Erfahrungen mit dem Elend der Flüchtlinge in Kalifornien Kommunist, der sich über die konkreten Probleme hinaus für eine bessere Welt einsetzte – so radikal, dass es selbst dem progressiven, politisch für die Demokraten engagierten Sendechef zu viel wurde, der ihn Ende 1939 entließ. Guthrie ging daraufhin nach New York, wo es die größte kommunistische Szene in den ganzen USA gab – mit weitreichendem Einfluss in der Arbeiter(selbst)organisation und im Kunst- und Kulturbetrieb.


Kampf für ein besseres Leben aller Menschen

Guthrie und seine Mitstreiter/innen setzte sich zu einer Zeit, als Segregation noch zum Alltag gehörte, vehement für die Gleichberechtigung der Afroamerikaner ein – nachdem er zunächst den Rassismus, mit dem er erzogen worden war, abgelegt hatte. Er vertrat auch die Auffassung, dass Frauen und Männer absolut gleichberechtigt sein müssen – auch nicht ganz uneigennützig, denn er glaubte, freie und unabhängige Frauen würden sich entspannter auch mal auf sexuelle Abenteuer einlassen. Für jede/n US-Bürger/in forderte er einen Grundlebensstandard. Dazu gehörten für ihn eine Wohnung, eine Auto, ein Kühlschrank, Kleidung, ein Radio und Lebensmittel – und ein Einkommen, von dem man leben kann, dazu Freizeit, und Taschengeld jenseits der Notwendigkeiten. Er kämpfte auch gegen den Faschismus – in den USA und Europa. Krieg lehnte er generell ab, weil er allein dazu da sei, um den finanziellen Profiteuren aus der einschlägigen Industrie zu dienen. Jedoch bedauerte er nachträglich angesichts des Elends, was er als Matrose in Europa und Nordafrika in Folge des zweiten Weltkriegs sah, dass die USA nicht früher gegen die Expansion der faschistischen Staaten eingeschritten waren.

Würde Guthrie heute leben, wäre er in vorderster Front der Kämpfer/innen nicht nur gegen Neonazis, sondern für Grundeinkommen und Mindestlohn, gegen Immobilienspekulation, für die volle Gleichberechtigung von Homosexuellen und für die menschenwürdige Behandlung von Flüchtlingen. Schon damals gab es einen Feind, der uns auch heute wieder begegnet: Banken und Finanzspekulierer/innen.


Mehr zum Thema hier

Flattr this!

]]>
http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/14/woody-guthrie-zum-101-geburtstag/feed/ 0
Studs Terkel – 100. Geburtstag / New Song By Jon Langford for Studs Terkel! http://www.plan-alternative.de/index.php/2012/06/24/studs-terkel-100-geburtstag-new-song-by-jon-langford-for-studs-terkel/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2012/06/24/studs-terkel-100-geburtstag-new-song-by-jon-langford-for-studs-terkel/#respond Sun, 24 Jun 2012 00:29:18 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=199 Nur die Guten sterben jung gilt zum Glück nicht für alle – manchen ist auch ein erfülltes, langes Leben gegönnt – so wie dem US-amerikanischen Radiomoderator, Autor, Historiker und Schauspieler Studs Terkel. Seinen hundertsten Geburtstag am 16. Mai 2012 erlebt er trotzdem nicht mehr – nachdem er noch kurz davor auch in Deutschland noch seine Memoiren Touch and Go (2007) vorgestellt hatte, starb er am 30. Oktober 2008. Ein Nachruf bezeichnete ihn als „die Seele des Mittelwestens, und ein grundehrlicher Außenseiter und Freund der einfachen Frauen und Männer“. Terkel gehörte wie der zehn Jahre jüngere Historiker Howard Zinn, oder der Musiker Woody Guthrie – zwei Monate nach Terkel geboren -, zu den wichtigsten Chronisten des „anderen Amerika“ im „Amerikanischen Jahrhundert, der „einfachen Menschen“ in den Vereinigten Staaten.

studs terkel

Foto: Quelle: http://studsterkelcentenary.wordpress.com

Terkel wurde zu einer Zeit geboren, als sich die USA von einer Agrar- in eine Industrienation verwandelte und sich von einer regional- zur Weltmacht entwickelte, wurde geprägt durch die Erfahrung der Großen Depression in den 30ern, den 2. Weltkrieg, und durchlebte die Nachkriegszeit mit der wachsenden Konsumgesellschaft, der Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikaner und dem Kalten Krieg, den Vietnamkrieg, die mächtigen Anti-Atom-Demonstrationen der 70er, die Emanzipation der Frauen und der Homosexuellen, die Reagan-Ära, den Mauerfall, 9/11 und als letztes den Irakkrieg und die Finanzkrise von 2008.

Seiner Heimatsstadt Chicago ein Leben lang treu, reiste Terkel durch ganz Amerika, interviewte in Radiosendungen und für Bücher „normale“ und prominente Leute seiner Zeit zu Alltagsthemen und großen politischen und sozialen Ereignissen und erstellte so eine soziale Landkarte seines Landes, machte sie zu Chronisten von historischen Perioden wie der Depression und dem Zweiten Weltkrieg, schrieb über Arbeit und „Rasse“, die Jazz-„Giganten“ und er traf andere große Musiker von Bob Dylan bis Big Bill Broonzy, dessen Musik er, neben Schubert auf seiner Beerdigung gespielt haben wollte. Ein Kollege sagte einmal über Terkel: „Wenn Studs Terkel zuhört, reden alle.“ Wenn man etwas über das vergangene Jahrhundert und über die USA wissen und verstehen möchte, muss man den Stimmen zuhören, die Terkel eingefangen hat. Happy Birthday!

Song von Jon Langford zum 100. Geburtstag von Studs Terkel


Update: Mit freundlicher Genehmigung hier eine Demoversion eines Songs für Studs Terkel, den Jon Langford (The Mekons) gestern für die Veranstaltung zum 100. Geburtstag von Studs Terkel in Chicago heute geschrieben hat und nur mit Ukulele in seinem Keller aufgenommen hat. Thanks Jon!

Jon Langford – Studs Song 2012 (Demo)

Jon Langford Barry Phipps_600

Foto: Barry Phipps / Bloodshot Records

Weiterlesen

Webseite zum 100. Geburtstag (English)
Erinnerung zum 100. Geburtstag in der Chicago Tribune (English)
Sehr schöne Charakterisierung der Person durch den Filmkritiker Roger Ebert zum 95. Geburtstag (English)
Studs Terkel bei Historical Voices (mit Audio / English)

Hören: Erinnerungen an Studs Terkel (in English)

Videos

(Zuerst veröffentlicht am 15.5.2012 auf Popkontext.de)

Flattr this!

]]>
http://www.plan-alternative.de/index.php/2012/06/24/studs-terkel-100-geburtstag-new-song-by-jon-langford-for-studs-terkel/feed/ 0