Plan A » Porträt http://www.plan-alternative.de Alternativen - für das gute Leben Sun, 20 Apr 2014 10:35:27 +0000 de-DE hourly 1 http://wordpress.org/?v=3.9 Pete Seeger – Die gute Seele Amerikas http://www.plan-alternative.de/index.php/2014/01/30/pete-seeger-die-gute-seele-amerikas/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2014/01/30/pete-seeger-die-gute-seele-amerikas/#comments Thu, 30 Jan 2014 12:42:12 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=5910 Seinen politisch und vielleicht auch menschlich erfüllendsten Moment erlebte Pete Seeger wohl bei der Amtseinführung Obamas 2009. Der alte Herr stand an diesem kalten Januarnachmittag mit seiner bunten Bommelmütze vor dem Capitol, hinter ihm ein Chor aus jungen Amerikaner/innen jeglicher ethnischer Herkunft. Neben ihm ein aus seiner Perpektive jungen Mann, mit dem er nicht nur die Bühne, sondern auch eine Vision teilte: Bruce Springsteen.

Gemeinsam sangen sie vor einem weltweiten Publikum einen Song seines alten Freundes Woody Guthrie – This Land Is Your Land. Seeger hatte darauf bestanden, dass sie alle sechs Strophen singen, auch die, welche bei dieser heimlichen zweiten Nationhymne der USA meistens weggelassen werden. Darin geht es darum, dass die Menschen in diesem reichen Land in Suppenküchenschlangen stehen müssen. Inspiriert von der Großen Depression der 1930er, waren diese Zeilen in der Finanzkrise wieder hoch aktuell, ebenso die Zeilen, die an einer grundamerikanischen Idee kratzten, der vom Privateigentum: „A sign was painted said: Private Property /But on the back side it didn’t say nothing / This land was made for you and me.“ Hier stand Seeger und konnte im Zentrum der Macht ungehindert von den Werten erzählen, für die er sein Leben lang gekämpft hat, oft gegen heftige Widerstände und unter schweren staatlichen Repressionen. Jetzt war er auf Einladung des Präsidenten hier, des ersten Afroamerikaners im Weißen Haus, in den viele Progressive enorme Hoffnungen steckten.


 

Ein Mann aus einer anderen Zeit

Pete Seeger stammte aus einer anderen Zeit. Er war geprägt von den sozialen und politischen Kämpfen der Großen Depression, der US-amerikanischen Ausformung der Weltwirtschaftskrise, die sich von den frühen 30ern bis zu Beginn des Zweiten Weltkriegs hinzog. In dieser Zeit erlebte das Land einen politischen Linksruck: Der ungezügelte Kapitalismus hatte offensichtlich versagt und Leid über die Menschen des Landes gebracht. Die gerade geborene Sowjetunion schien vielen als eine gesellschaftliche Alternative. Kommunisten und andere Linke organisierten starke Gewerkschaften – die mächtigste wurde die radikale CIO, die auch die Ungelernten, frisch Eingewanderten und Nichtweißen ohne Einschränkungen aufnahm. Auch viele Künstler/innen sympathisierten mit linken Idealen.

Der neue Präsident Franklin D. Roosevelt trug dem Rechnung. Er schaffte zwar den Kapitalismus nicht ab, sondern rettete ihn quasi, aber er setzte neben den wirtschaftlichen viele wichtige soziale Reformen durch, die in Europa zum Teil schon lange Standard waren. Er bestrafte zudem die Banker und ordnete ein gewaltiges staatliches Arbeitsbeschaffungsprogramm an, das auch Künstler/innen förderte. Viele Künstler/innen sahen sich wiederum als Teil einer Bewegung, die die Gesellschaft verändern, eine bessere Zukunft schaffen will, Autor/innen, Regisseur/innen und Musiker/innen. Zu diesen gehörte der junge Pete Seeger. Es war eine Zeit vor dem Zynismus, die Musik war in der Folkszene so sehr mit ehrlichem politischem Engagement verbunden, dass die weniger politischen Musiker, die traditionelle ländliche US-amerikanische Musik pflegten, sich später mit der Bezeichnung „Country“ abgrenzten, um nicht in Kommunismusverdacht zugeraten.

Foto: Wikipedia / LOC

Pete Seeger 1955 Foto: Wikipedia / LOC


 

Sowohl seine Musik als auch seine Haltung hatte Seeger bereits mit in die Wiege gelegt bekommen: Er war ein so genantes Red-Diaper-Baby, ein in roten Windeln gewickeltes Baby, wie man Leute nannte, deren Eltern überzeugte Kommunisten waren. Seine Eltern kamen aus alt eingesessenen Neu England-Familien, deren Vorfahren bis zur Mayflower zurückreichten und sie so quasi zu amerikanischem Adel machten. Charles Seeger war ein in Harvard und Köln klassisch ausgebildeter Musiker. In Mexiko City geboren, wo sein Vater ein Geschäft hatte, wurde er durch die mexikanische Revolution Anfang des Jahrhunderts politisiert, noch mehr unter dem Eindruck des 1. Weltkriegs. Auch Mutter Constance war Musikerin und Komponistin.

Sein Vater sprach sich eher zum Leidwesen der Mutter laut und öffentlich für politische und soziale Gerechtigkeit aus. Er redete nicht nur, er handelte auch: Als Seeger ein Baby war, unternahm die gesamte Familie auf Geheiß des Vaters waghalsige Planwagen-Fahrten in die ländlichen Gebiete der Ostküste. Hier wollte er die einfachen Farmer von der glückseeligmachenden Wirkung moderner klassischer Musik überzeugen. Später versuchte Seeger Senior das auch bei den Arbeitern. In beiden Fällen musste er feststellen: Die Leute haben ihre eigene, ebenso gute Musik, mit der sie auch viel mehr anfangen können.
 

Politische Folkmusik als Lebensinhalt

Seeger Junior wandte sich selber recht schnell der ländlichen US-amerikanischen Folklore zu. Nach einen abgebrochenen Harvard Studium begann er Ende der 1930er für Alan Lomax zu arbeiten, der seinem Vater, dem Folkforscher John Lomax, nacheiferte und die Folkabteilung der Library of Congress leitete. Der hatte gerade eine Riesenladung alter Schellackplatten gerettet, die CBS entsorgen wollte, weil sie keiner mehr haben wollte. Seegers Aufgabe war es, diese tausenden 78er-Scheiben durchzuhören, nach Qualität zu beurteilen und nach Art zu sortieren.

Dann kam eins zum anderen: Anfang 1940 lernte er den sieben Jahre älteren Woody Guthrie kennen, einen schrägen, wilden Typen, der gerade Mitten im Winter einmal quer durch die USA nach New York getrampt war. Dieser Frauenheld, der sich nie wusch und sich als abgerockter Hobo gerierte, war eine weitere Offenbarung für den schüchternen, trotz aller Merkwürdigkeiten wohlbehütet-gutbürgerlich aufgewachsenen jungen Seeger. Das ganz Besondere war: Dieser Guthrie stammte wirklich mehr oder weniger vom Land, aus dem Mittelwesten. In Wirklichkeit zwar aus einer Mittelklassefamilie, und aus der Kleinstadt, aber er wusste den einfachen Farmer zu geben, der das Idol der urbanen Ostküsten-Folkszene war. Mit Guthrie reiste Seeger bald selbst als Hobo durch die USA, lernte, aus fahrenden Zügen zu springen, und die Tricks, als Straßen-Musiker Leute für sich zu begeistern. Sie schrieben gemeinsame Songs wie das mitreißende Gewerkschaftslied Union Maid.

Woody_Guthrie

Woody Guthrie // Foto: Library of Congress


 

Die beiden unterschiedlichen Männer wurden lebenslange Weggefährten. Im Sommer nach ihrer erste Bekanntschaft hatte sich der junge Seeger bei diversen ländlichen Festivals bei den Farmern die Technik abgeschaut, wie man das fünfsaitige Folkbanjo mit dem langen Hals richtig spielte. So gewann er musikalische Souveränität und konnte es mit dem routinierten Guthrie aufnehmen. Zunächst spielten sie ab 1941 gemeinsam in den Almanac-Singers, die politische Folkmusik in New York und darüber hinaus bekannt machten.

Damals waren Akustikgitarren, die man durch die Stadt trug, noch so ungewöhnlich wie ein achtköpfiges Tubaorchester, und Seeger sagte, dass Guthrie der erste gewesen wäre, den er mit einer Jeans als Alltagskleidung gesehen hätte. Sie lebten mit ihrem Mitmusiker/innen in einer Kommune nahe dem Central Park, wo sie regelmäßig im Keller für einen kleinen Mitzuschuss öffentlich musizierten, in so genannten Hootenanny. In der Gemeinschaftskasse fand sich trotzdem oft selbst im strengsten Winter nicht genug Geld für die Heizung. Zunächst sangen sie strikt Antikriegssongs, weil sie die Krieg als kapitalistische Profitmaschine sahen – mit Hitlers Überfall auf die Sowjetunion schwenkten sie doch im Sinne des Antifaschismus auf Patriotismus um. Damit waren damit sie kurzfristig nicht nur ganz weit vorn, weil sie schnell aktuelle Songs produzierten, sondern auch sehr beliebt.

Schon davor waren sie auf eine selbst organisierte USA-Tour gegangen, bei der sie nur auf Gewerkschaftsveranstaltungen sangen. Hier machten sie die Erfahrung, dass man sich als urbane/r Mittelklässler/in nicht unbedingt Freunde macht, wenn man sich einfach kleidet wie die Fabrikarbeiter/innen. Die hatten sich für den Anlass nähmlich ihren Sonntagsstaat angezogen und fühlten sich verspottet. Auch die Agentin des FBI, die der Tour heimlich folgte, fand die Band schmuddelig. Es war aber die kommunistische Haltung, die den FBI zum Anlass nahm, ihre Karriere zu torpedieren, als sie schon einen Vertrag mit Decca in der Tasche hatten. Dieses hatte nach längereren bürokratischen Stockungen wie z.B. Platten als “Beweisstücke”, die beim Transport zerbrochen waren, die frühen “unpatriotischen” Antikriegssongs entdeckt und lancierten eine Zeitungskampagne gegen die Band.


 

Kommerzieller Erfolg und antikommunistische Repressionen

Dann kam der Krieg. Seeger diente im Pazifik, wo er Musik-Workshops gab und Truppenunterhaltung machte. Nach dem Krieg fanden er, Guthrie und andere aus der alten Szene sich wieder zusammen. Und es kam einen neue Generation dazu. Mit People’s Songs gründete man eine Gewerkschaft für Folkmusiker/innen, die auch ein Magazin herausgab und Jobs vermittelte. Zunächst war auch sie sehr erfolgreich, bis wieder die antikommunistische Politik einen Strich durch die Rechnung machte. Der bis heute gültige Taft Hartley Act von 1947 verbot das Engagement von Kommunisten in den Gewerkschaften. Das war das Ende des Geschäftsmodells von People’s Songs, da die kommunistisch geprägten Gewerkschaften ihre Kooperationspartner waren. Jetzt wollte man niemanden mehr engagieren, der mit Kommunismus in Verbindung stehen könnte. Seeger war kurz davor, das Banjo an den Nagel zu hängen und als Arbeiter in einer Dosenfabrik anzufangen, weil er schlichtweg nichts mehr zu Essen hatte und seine Miete nicht mehr zahlen konnte.


 

Da kam ein neues kleines Wunder in sein Leben: Mit seiner neuen Band, The Weavers, hatte er einen völlig unerwarteten Radiohit; Goodnight Irene, geschrieben von seinem Freund, dem afroamerikanischen Musiker Leadbelly. Die Weavers, die sich unpolitischer, kommerziell aufgehübschter globaler Fokmusik verschrieben hatten, wurden plötzlich zu unfasslichen Gagen in die besten Clubs der USA eingeladen. Doch auch hier fielen ihnen auf der Höhe ihrer Popularität die früheren politischen Aktivitäten einzelner Mitglieder auf die Füße: Die finstersten Tage der McCarthy-Zeit hatten begonnen, auch zur Freude des FBI-Chefs J. Edgar Hoover, der schon seit dessen Gründung 1924 auf eine antikommunistische Politik gesetzt hatte.

Künstler/innen, Regisseur/innen und Publizist/innen mit vermeintlichen oder tatsächlichen Sympathien für kommunistische Ideale wurden nun, Anfang der 50er, im ganzen Land auf schwarze Listen gesetzt. Sie verloren ihre Lebensgrundlagen, da niemand sich mehr traute, mit ihnen zu arbeiten. 1955 gelang den Weavers aufgrund des Engagements ihres Managers Harold Leventhal noch einmal ein sensationelles Comeback: Obwohl niemand Räumlichkeiten an Künstler/innen vermieten wollte, die auf der schwarzen Liste standen, gelang es diesem, nicht nur die berühmte New Yorker Carnegie Hall zu bekommen, sondern diese auch innerhalb kürzester Zeit auszuverkaufen. Das Konzert schnitt Leventhal auf eigene Kosten mit. Es wurde später, auf Vinyl gepresst, zum Zeitzeugnis für folgende Generationen.

Foto: Damien Drake

Foto: Damien Drake


 

Saat einer neue Folkmusikgeneration

Bald darauf stand Seeger kurz davor, für lange Jahre ins Gefängnis zu gehen: Er war als Zeuge vor das berüchtigte Büro für unamerikanische Tätigkeiten geladen worden und hatte gewagt, die Aussage zu verweigern – und zwar nicht, weil er sich damit selber gefährden könnte, sondern er berief sich auf die im First Amendment verankerte Meinungsfreiheit. Das wurde als Affront gegen den Ausschuss bewertet. Er entkam dem Gefängnis, aber durfte nur noch für Kinder spielen, weil man ihn dort für ungefährlich hielt. Und er spielte an den Colleges und Universitäten im ganzen Land. Der linke Radiomoderator Studs Terkel sagte später dazu, dass Seeger bei jedem der zahlreich nachfolgenden jungen Folksänger/innen seine Spur hinterlassen hätte, wie das „Kilroy“, dass die US-Soldaten überall hingeschrieben haben, wo sie im 2. Weltkrieg durchgezogen waren.

Seeger hatte in seinem Repertoire eigene Lieder wie das später von den Byrds gecoverte Turn Turn Turn, das auf einem ukrainischen Volkslied basierende Where Have All The Flowers Gone und seit 1967 auch das vom Vietnamkrieg und von einen im ersten Weltkrieg gefallenen poetisch veranlagten Onkel inspirierte Waist Deep in the Big Muddy. Aber er popularisierte vor allem Songs von anderen: Malvina Reynolds’ Little Boxes über die Konsum-Gleichschaltung der 50er, die Songs der schwarzen Bürgerrechtsbewegung wie We Shall Overcome, Gewerkschaftslieder wie Florence ReeceWhich Side Are You On, und immer wieder die Songs seines alten Kumpels Woody Guthrie, den er nie müde wurde zu preisen, während dieser von der Corea Huntington gezeichnet in verschiedenen Krankenhäusern dem Tode entgegensiechte.


 

Seeger spielte viel im Ausland, wo es keine Beschränkungen und Vorbehalte gegen ihn gab, vor allem in Europa, wo er ein gern gesehener Gast war – nicht nur im Ostblock. Er machte eine Weltreise mit seiner Familie, auf der er mit seiner Frau und seinem ältesten Sohn auch ethnologische Aufnahmen von traditioneller Folkmusik aus aller Herren Länder machte. Ende der 50er fiel die USA langsam aus dem bleiernen Schlaf des Antikommunismus. Eine neue Folkszene, die eine Dekade unter dem Radar geschlummert hatte, kam aus ihrem Versteck gekrochen. Sie war weniger politisch als ihre Vorgänger, es ging mehr als Lebensstil. Jedoch gab es eine vage linke, progressive Haltung und viele schlossen sich dem Kampf gegen die Ungleichbehandlung der Afroamerikaner an, der die 50er und 60er als politisches Thema bestimmte.

Seeger war überall dabei und durchaus geschätzt, aber der Held der Jungen war Woody Guthrie: Der lockenköpfige Draufgängertyp mit Jeans und Karohemd war der coolere Typ, nicht der nette, brav wirkende Seeger, ein dürrer langer Nerd mit einem komischen Banjo. Aber sie kannten all die Songs durch Seeger, und er war im Gegensatz zu Guthrie weiter präsent: Er wurde Anfang der 60er Mitorganisator des Newport Folk Festivals und Ende des Jahrzehnts luden ihn von mutigeren, aufgeschlosseneren Kolleg/innen wie Johnny Cash auch wieder in Fernsehshows ein. Er hatte sogar kurzfristig eine eigene Sendung. Aber er erfuhr auch weiterhin Zensur und Ausgrenzung, so weil er sich gegen den Vietnamkrieg engagierte und mit dem Feind, den Viet Cong und den kommunistischen Nordvietnamesen sympathisierte.


 

Viele scherten sich einen Dreck darum, aber der Ruf des Kommunisten hing Seeger immer nach und polarisierte. Er selber hatte sich in den der 50ern von der Kommunistischen Partei entfernt, ohne kommunistische Ideale aufzugeben. Ihm wurde vorgeworfen, dass er sich angeblich erst in den 90ern deutlich von den stalinistischen Verbrechen distanziert hätte. Er konterte mit zwei Gegenargumenten: Jemand wie er, der seine Meinung frei heraus sage und sich für Gerechtigkeit einsetzt wäre als einer der ersten von Stalin inhaftiert worden. Und dann müsse sich doch auch nicht jeder Christ ständig für die Verbrechen der Inquisition rechtfertigen. Seeger stellte fest, dass Meinungsfreiheit und eine freie Presse notwendig seien, damit sich ein Staat sich nicht in Richtung Totalitarismus bewege.
 

Vorreiter im Umweltschutz und Chronist einer vergangenen Ära

In seinen späteren Jahren kam ein weiteres wichtiges Thema zentral in sein Leben: Der Umweltschutz, konkret der im Hudson River. Seeger hatte sich bereits als junger Familienvater gemeinsam mit seiner Frau ein Haus am Fluss gebaut. Dieser verkam mehr und mehr zur Kloake, in der man vor lauter chemischer Verunreinigung kaum noch baden konnte. Die Fische starben. 1966 gründete er mit anderen engagierten Mitstreiter/innen Clearwater. Mit einem Retro-Boot wurde interessierten Menschen die Schönheit des Flusses gezeigt, und auch die Bedrohung durch die ungereinigten Abwässer. So sollten sie bewogen werden, sich für die Reinhaltung des Flusses einzusetzen. Effektiv und sehr erfolgreich wurden die schlimmsten Quellen der Verunreinigung beseitigt und wegweisende lokale und nationale Gesetze zum Gewässerschutz erzwungen, wie der Clean Water Act von 1972. Clearwater hat heute einen internationalen Ruf als wegweisendes Umweltschutzprojekt und wird von einer jüngeren Generation weiter geführt.


 

Auf seine alten Tage wurde Seeger, inzwischen eine nationale Ikone, vor allem zum Chronisten. Seine Geschichten, aber auch seine Songs, waren gerade in der Zeit nach der Finanzkrise wieder besonders gefragt. Sie boten Möglichkeiten eines anderen Amerika, einer anderen Welt an, nach der man nach dem Zusammenbruch dringend suchte. Sie boten Alternativen zur angeblichen Alternativlosigkeit des Neoliberalismus. Auch wenn er in den letzten Jahren kaum noch sang, weil seine Stimme nicht mehr mitmachte, gab er geduldig unzählige Interviews. Bruce Springsteen, der sich nach dem Beginn des Zweiten Irakkriegs entschlossen hatte, seine linke Grundhaltung nicht mehr hinter den Berg zu halten, ehrt ihn und den Geist der Folk-Musik der 1930er schon 2006 mit einem Tribut, The Seeger Sessions. Seeger und Woody Guthries Sohn Arlo schlossen sich der Occupy-Wallstreet-Bewegung an, die die alten Kampflieder wieder entdeckten.

Seeger feierte 2012 mit seinen noch lebenden Weggefährt/innen und jüngeren Nachfolger/innen und Fans den 100. Geburtstag seines Freundes Woody Guthrie. Im vergangenen Jahren starb seine geliebte Frau Toshi, die ihn über 70 Jahre durch alle Höhen und Tiefen begleitet hatte und ihn dabei unterstützte, seine Visionen und Ideen umzusetzen. Sie sagte einmal: „Wenn er wenigstens anderen Frauen hinterherjagen würde anstatt Ideen – dann hätte ich einen Grund, ihn zu verlassen.“ Die Seegers sind ein zäher, langlebiger Clan – aber jetzt war es offenbar auch für ihn Zeit zu gehen. Er hinterlässt eine große Schar an Kindern, Enkeln und Urenkeln unterschiedlichster ethnischer Mischungen. Sein größtes Vermächtnis sind die Folksongs, und der Geist, der in ihnen steckt.

Zuerst veröffentlicht auf Popkontext.de

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Das Archiv von Albert Kahn – ein Viertel Jahrhundert Zeitgeschichte http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/11/21/das-archiv-von-albert-kahn-ein-viertel-jahrhundert-zeitgeschichte/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/11/21/das-archiv-von-albert-kahn-ein-viertel-jahrhundert-zeitgeschichte/#comments Thu, 21 Nov 2013 00:09:28 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=3709 Albert Kahn lebte von 1860 bis 1940 in Frankreich. Der Banker war mehrere Jahrzehnte einer der reichsten Menschen Europas. Er hatte keine Kinder und ging beim Bankencrash 1929 pleite. Aber er hinterließ ein unschätzbares Erbe für die Menschheit: Eine Sammlung von 72 000 Farbfotos und 183 000 Meter Film, in denen das Leben in Europa und der Welt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts festgehalten ist.

Foto: Georges Chevalier 1914 / Musée Albert Kahn

Foto: Georges Chevalier 1914 / Musée Albert Kahn

Vom Viehändlersohn zum reichen Banker

Im Elsass als Sohn eines jüdischen Viehhändlers geboren, ging er mit 19 Jahren nach Paris, um sein Glück zu machen. Er machte eine Banklehre, studierte aber abends Literaturwissenschaft und Jura. Sein Tutor war der nur ein Jahr ältere Autor und Philosoph Henri Bergson, der zu einem lebenslangen Freund wurde.

1884 wurde Kahn als Jurist zugelassen. Acht Jahre später wurde er Direktor und Teilhaber des renommierten Bankhauses Goudchaux, damals eines der größten Europas. Kurz danach erwarb er ein Landgut in Boulogne-Billancourt bei Paris. Hier ließ er einen Garten, den Les Jardins du Monde, mit englischen, französischen und einen japanischen Elementen einrichten, die in ihrem Zusammenspiel seiner Vorstellung von harmonischer Völkerverständigung entsprachen. Der Garten wurde ein Treffpunkt der großen, vor allem französischen und europäischen Intellektuellen seiner Zeit; so empfing er hier u.a. Albert Einstein, Austen Chamberlain, Raymond Barrès, Paul Valéry, Anatole France und Auguste Rodin.

Die Archive des Planeten

1909 kam ihm auf einer Geschäftsreise nach Japan die Idee zu seinem Lebensprojekt, den Archives de la planète. Er hatte sich, u.a. angeregt durch seinen Chauffeur, schon zuvor für Farbfotografie, das damals brandneue Autochrome Lumière, und auch den Film, den ebenfalls die Lumière-Brüder Ende des 19. Jahrhunderts in verwendbarer Form entwickelt hatten, interessiert.

Jetzt wollte er Fotografen beauftragen, das Leben in einer Zeit zu dokumentieren, von der er sich absolut bewusst war, dass sich die Welt im Umbruch befand. Mit der fortschreitenden industriellen Revolution verschwanden die letzten Reste des traditionellen bäuerlichen Lebens, durch die fortschreitende Transporttechnik wuchs die Welt mehr und mehr zusammen. Kahn wollte das verschwindende Landleben dokumentieren, sowie die Völkerverständigung vorantreiben, indem er Bilder aus allen Ecken Europas und der Welt für seine Landsleute sichtbar machte.

Dabei ging es ihm nicht darum, aktuelle Neuigkeiten und Sensationen präsentieren, sondern er wollte einen dokumentarisch-soziologischen Blick. Er reiste selber durch den Kontinent und in die Welt hinaus, aber vergab auch Stipendien an Fotograf/innen, die er für passend hielt und ermöglichte ihnen so die Reisen und die Verwirklichung entsprechender Projekte.

Einzigartige Dokumentation

In 22 Jahren sammelte er eine einzigartige Dokumentation seiner Zeit: Das ländliche Leben in Europa, aber auch den Weltkrieg und andere prägende Ereignisse davor und danach, vom Untergang des Osmanischen Reichs bis zum Deutschland in der Inflationszeit. Seine Bilder sind Zeugnisse des Alltags und historischer Vorgänge, die die Zeit von vor 100 Jahren, das Leben unserer Großeltern, greifbar machen, historischen Fakten ein Gesicht geben, und zugleich zeigen, wie viel sich geändert hat.

Nachdem Kahn 1930 in Folge des Schwarzen Freitag sein gesamtes Vermögen verlor, musste er das Projekt abbrechen. Er lebte noch zehn Jahre auf seinem Landgut, dessen Garten vom Staat übernommen und weiter gepflegt wurde. Kurz nach der Okkupation Frankreichs durch die Nazis starb Kahn. Seit 1986 werden seine Bilder und Filme in einem staatlichen Museum in der 14 Rue du Port, Boulogne-Billancourt, Paris, gezeigt, in seinem Garten, der immer noch auf vier Hektar existiert. 2008 veröffentlichte die BBC in Zusammenarbeit mit dem Musée Albert Kahn eine mehrteilige Dokumentation, in der sie anhand von Fotos und Filmen die Geschichte der Zeit erzählt, The Wonderful Worl of Albert Kahn. Begleitend erschien ein Bildband.

The Wonderful World of Albert Kahn (English)
Musée Albert Kahn (Français)

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Uruguays Präsident José Mujica zu Al Jazeera: “Ich bin genügsam, nicht arm” http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/11/10/uruguays-prasident-jose-mujica-zu-al-jazeera-ich-bin-genugsam-nicht-arm/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/11/10/uruguays-prasident-jose-mujica-zu-al-jazeera-ich-bin-genugsam-nicht-arm/#comments Sun, 10 Nov 2013 19:18:27 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=3519 José – oder volkstümlich Pepe – Mujica, ein einstiger kommunistischer Rebell und heute der Präsident des kleinen südamerikanischen Landes Uruguay, ist seit längerem als der “ärmste Präsident der Welt” bekannt. Nicht weil ihm der Staat nichts zahlt, sondern weil er 90% seines Einkommens spendet. Das ist einmalig für einen Regierungschef – viele wollen es zunächst nicht glauben. Selbst wirklich sozial engagierte Politiker/innen versuchen mit ihrem Einkommen zumeist ein Standbein ins Geschäftsleben zu bekommen, und gönnen sich einen gewissen Luxus in ihrem Leben. Mujica lebt mit seiner Frau, die ebenfalls für die Regierung arbeitet, nach eigenen Angaben von deren Einkommen. Sie legen sogar eine kleine Summe als Sicherheit zurück. Sie haben einen äußerst bescheidenen Lebensstandard, aber Mujica meint: “Ich bin nicht arm, ich bin genügsam.” Er hänge sich nicht an Dinge – wer das tue, sei der wirklich Arme: “Ich verdiene viel mehr Geld, als ich brauche.”

Foto: Wikipedia / Roosewelt Pinheiro ABr

Foto: Wikipedia / Roosewelt Pinheiro ABr

Als Mujica im vergangenen Monat in Uruguay Marihuana völlig legalisierte und damit weltweit für Aufsehen sorgte, sprach Al Jazeera mit ihm ausführlich über seine Lebensphilosophie, seine politischen Pläne und warum er denkt es ist eine gute Idee, Marihuana zu legalisieren.

Original Story at Al Jazeera

via

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Wie eine kleine private Initiative dem Nahverkehr in Detroit hilft – die Detroit Bus Company http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/08/20/wie-eine-kleine-private-initiative-dem-nahverkehr-in-detroit-hilft-die-detroit-bus-company/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/08/20/wie-eine-kleine-private-initiative-dem-nahverkehr-in-detroit-hilft-die-detroit-bus-company/#comments Tue, 20 Aug 2013 10:26:54 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=2244 Not macht erfinderisch – und kann auch Freiheiten geben, die man in geordneten Verhältnissen nicht hat. Das zeigt sich immer wieder in der verfallenden Metropole Detroit. Sechs Jahre lang hatten Investoren und die Stadt über den Ausbau einer Straßenbahnlinie namens M-1 von der Innenstadt in die Vorstädte diskutiert. Sie sollte die sterbende Stadt wiederbeleben, weil so die Arbeitskräfte aus den Vororten unkompliziert in die City kommen konnten. Im Januar 2012, schon vor der offiziellen Insolvenz der US-amerikanischen Millionenstadt, wurden die Pläne verworfen. Viele Detroiter hatten sehr auf diese Verbindung gehofft.

Bunter Bus der Detroit Bus Company

Foto: Detroit Bus Company

Sechs Monate später gründete der 25jährige Detroiter Andy Didorosi die Detroit Bus Company. Er sah es positiv: In Städten mit ausgebautem Nahverkehr muss man sich dessen Regeln anpassen – hier konnte er selbst gestalten. Es gibt zwar ein städtisches Busnetzwerk, dessen Budget aber ständig gekürzt wird – das heißt, es gib wenige Strecken, lange Wartezeiten und auch häufige Busausfälle. Im Einzugsgebiet gibt es 700 000 Einwohner – für viele ist es ein fast unlösbares Problem, von ihrer Wohnung zu einem Arbeitsplatz zu kommen, der weiter entfernt ist.

Zunächst wollten Didorosi und seine Mitarbeiter nur mit einem kleinen Projekt vorführen, dass es funktionieren kann und dass städtische Mittel dafür sinnvoll eingesetzt sind. Der unkonventionelle Busservice mit den bunten, Biodiesel betrieben Fahrzeugen und dem modernen, alternativen und in der Stadt verwurzelten, sozial engagierten Image fand aber regen Anklang: Sie wurden für alle möglichen Transportprobleme engagiert und entwickelten innovative Methoden, die Busse effektiv einzusetzen. So boten sie eine Bustracker-App an, über die man sich erkundigen konnte, wo sich die Busse aktuell aufhalten. Diese wurden kurz danach von der Städtischen Busfirma DDOT “nachempfunden”. Hier sieht Didorosi auch die Stärke seiner Firma: Er will nicht den städtischen Nahverkehr übernehmen, denn dieser sei eine öffentliche Angelegenheit und nicht die einer Privatfirma. Aber sie können innovative Technologien entwickeln, diesen öffentlichen Nahverkehr mit Bussen effektiver zu gestalten.

Website Detroit Bus Company

The Detroit Bus Company from Dark Rye on Vimeo.

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Minidoku: Wie ein alter Mann dank Microsoft Paint zum Maler wurde http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/24/minidoku-wie-ein-alter-mann-dank-microsoft-paint-zum-maler-wurde/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/24/minidoku-wie-ein-alter-mann-dank-microsoft-paint-zum-maler-wurde/#comments Wed, 24 Jul 2013 16:50:52 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=1471 hal lazlo screenshot

Der heute 97jährige US-Amerikaner Hal Lasko arbeitete als Schriftdesigner. Als er längst Rentner war, schenkte ihm sein Enkel einen Computer. Das war vor über 15 Jahren. Der Rechner wurde zweifach wichtig für den alten Mann. Zum einen begann sein Augenlicht zu schwinden, da er an Makuladegeneration litt, bei der der der Punkt des schärfsten Sehens seine Funkionsfähigkeit immer mehr verliert. Er dachte, seine Zeichenkarriere sei damit vorbei. Doch Dank der Vergrößerungsfunktion kann er mit Microsoft Paint, das er in einer Uraltversion von vor 20 Jahren benutzt, wieder sauber zeichnen. Außerdem war er endlich befreit davon, sich nach den Wünschen seiner Kunden richten zu müssen. Jetzt kann er seine Kreativität in vollen Zügen leben. Er schließt beim Malen oft die Augen, weil er versucht das zu malen, was er in seinen Träumen sieht, sagt er in dem gerade veröffentlichten Kurzporträt. Seinem Sohn kommen die Tränen als er sagt, dass die Kunst seinem alten Vater die Kraft und Freude gäbe, gar nicht ans Sterben zu denken. Und nicht nur das – die Bilder sind wirklich toll!

Website Hal Lasko

The Pixel Painter from The Pixel Painter on Vimeo.


via Gizmodo

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Sahelzone: Wie es einzelne Bauern schafften, eine ganze Region vor der Verwüstung zu retten http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/22/sahelzone-wie-es-einzelne-bauern-schafften-eine-ganze-region-vor-der-verwustung-zu-retten/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/22/sahelzone-wie-es-einzelne-bauern-schafften-eine-ganze-region-vor-der-verwustung-zu-retten/#comments Mon, 22 Jul 2013 18:34:01 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=1108 Nicht nur die Agrarindustrie bedroht weltweit die traditionelle Landwirtschaft – manchmal ist es auch das Althergebrachte selbst, wenn es nicht genügend den veränderten Umweltbedingungen und sozialen Entwicklungen angepasst wurde. Wo in früher Zeiten Menschen einfach verhungert sind oder wegzogen, gibt es heute Austausch- und Unterstützungsmöglichkeiten und wissenschaftliche Forschung, wie man sich den neuen Bedingungen anpassen bzw. gemachte Fehler korrigieren kann. Noch immer bedarf es allerdings herausragender Persönlichkeiten, Neugierige und Querköpfe aus den betroffenen Communitys selbst, die diese Veränderungen durchsetzen – und im Zweifel auf die besten Ideen selbst kommen, oft mit Rückgriff auf vergessenes oder falsch angewandtes traditionelles Wissen. Beispiel dafür sind zwei Erfolgsgeschichten aus der Sahelzone, wo kein staatliches Programm und kein Entwicklungshilfeprojekt zu fassen schien.

man_stopped_desert

Ein “verrückter” Bauer rettet ein ganze Region

Berühmt wurde der Bauer Yacouba Sawadogo aus Burkina Faso, der das Leben von tausenden Menschen transformierte. Er hatte in den 1980ern begonnen, mit traditionellen Mitteln ein Stück Erde zu bebauen, das längst verloren geglaubt schien. Die Gegend am südlichen Rand der Sahelzone hatte gerade eine weitere längere Dürre hinter sich, die durch Abholzung und Überweidung verstärkt worden war. So wurde die Erosion des fruchtbaren Bodens gefördert und der wenige Regen drang nicht ein. Das Problem war auch international bekannt – ich kann mich erinnern, dass ich davon sogar in der Schule hörte, zu ebenjener Zeit. Es gab jedoch keine effektiven institutionellen Projekte, um es zu lösen.

Heute bekommt Sawadogo Besuch von internationalen Agrar-Experten. Diese müssen ihn höchstpersönlich auf seinem abgelegenen Stück Land aufsuchen, da er weder Internet noch ein Telefon hat und auch die Post nur sporadisch kommt. Er hatte es nicht nur geschafft, mit einer Mischung aus vergessenen althergebrachten Techniken, vor allem das Zaï, und eigenem Experimentieren das karge Stück Land in ein Hirsefeld zu verwandeln. Auf gleiche Weise pflanzte er auch Baumsamen. Jetzt ist sein Wald aus Affenbrot-, Tamarinden-, Niem- und Nérébäumen, in dem sich auch eine einzigartige Tierwelt angesiedelt hat, sowohl eine lokale als auch internationale Attraktion. Sawadogo, der schon als Kind mit traditionellen Anbau- und Heilmethoden in Berührung gekommen war, ist heute lokaler Medizinmann und Agrarexperte in einem. Die anderen Bauern kommen zu ihm, um sich Rat zu holen.

Diese hatten ihn lange für einen eigenbrödlerischen Spinner gehalten. Erst als sein Vorgehen nach Jahren vorzeigbare Erfolge vorwies und auch das staatliche Agrarministerium auf ihn aufmerksam wurde, begannen sie ihn anzuerkennen. So konnte nicht nur die Ausdehnung der Wüste aufgehalten werden, sondern die Bauern der Region ernten mit Sawadogos Methoden teilweise das dreifache der Erträge, die sie vor der verheerenden Dürre Ende der 70er, Anfang der 80er erzielten.

‘The Man Who Stopped The Desert’ trailer from Mark Dodd on Vimeo.

Bürgermeister als Vorbild

Ähnliches trug sich 20 Jahre später im nördlichen Äthiopien zu, in der Provinz Tigray am nordöstlichen Ausläufer der Sahelzone. Noch vor wenigen Jahren sollte hier ganze Dörfer evakuiert werden, weil der Boden verdorrt und die Bewohner/innen scheinbar dauerhaft von Hilfe von außerhalb abhängig waren. Auch hier war das Problem neben ausbleibendem Regen die Überweidung, die Abholzung und ein schlechtes Wassermanagement.

Hier war es Gebremichael Gidey Berhe, Bürgermeister des Örtchens Abrha Weatsbha, der die Initiative ergriff: Er hatte es satt, dass sein Dorf nicht für sich selbst sorgen konnte, und spätestens die Angst vor Umsiedlung brachte alle Bewohner dazu, bei seinem 2004 begonnenen Projekt mit anzupacken. Schon 1998 hatte die äthiopische Regierung einen neuen Landnutzungsplan als Alternative zur Umsiedlung der 5000 Bewohner angeboten. Mit finanzieller Unterstützung sollten die Anwohner alle Bauarbeiten selber leisten. Gemeinsam bot man der Bodenerosion Einhalt, in dem man Terrassen an die trockenen Hügel baute, Brunnen bohrte und Bewässerungsgräben aushob. In frisch gebauten Auffangbecken wird das Wasser gespeichert. Die Rinder werden jetzt in Umzäunung gehalten, damit sie nicht jedes keimende Grün gleich wieder wegfressen. Neben Obstbäumen wurden 224,000 Hektar mit Waldbäume wieder aufgeforstet, die nachhaltig bewirtschaftet werden. Sie liefern Biomasse, halten den Boden fest und sind Wasserspeicher.

Die meisten Methoden waren weder neu noch kompliziert – nur mussten die Menschen dazu gebracht werden, aus ihrem alten Trott auszusteigen, neugierig zu werden und gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Er selbst ging im Alltag mit gutem Vorbild voran und konnte zudem finanzielle Unterstützung u.a. durch das United Nations Development Programme und das World Food Programme sichern. Die Abrha Weatsbha Initiative wurde im vergangenen Jahr mit einer Preis für nachhaltige Community-Projekte der Equator Initiative der UN ausgezeichnet.

Hillside_Farm,_Tigray_Region,_Northern_Ethiopia_Elitre

Auch hier konnten die Methoden mit Hilfe von institutioneller Unterstützung und wissenschaftlicher Erforschung im In- und Ausland erfolgreich auf eine ganze Region übertragen werden. Mittlerweile gibt es 350 ähnliche Projekte im ganzen Land, die staatlich koordiniert werden. Wo noch vor wenigen Jahren Kargheit und Bodenerosion, Hunger und Verzweiflung das Bild prägten, wachsen heute zwischen Bäumen auf grüne Feldern Mais, Kohl, Tomaten und Mangos (s. u.a. Fotostrecke beim World Food Programme und beim Equator Prize des United Nations Development Programme).


Bildquellen: Standbild aus The Man Who Stopped the Desert / Wikipedia (Alan Davey)

Mehr Informationen (English)

  • The Man Who Stopped the Desert
  • Abrha Weatsbha Community Ethiopia at Equator Initiative
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    http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/22/sahelzone-wie-es-einzelne-bauern-schafften-eine-ganze-region-vor-der-verwustung-zu-retten/feed/ 0
    Woody Guthrie zum 101. Geburtstag! http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/14/woody-guthrie-zum-101-geburtstag/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/14/woody-guthrie-zum-101-geburtstag/#comments Sun, 14 Jul 2013 15:58:44 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=756 Heute würde der US-amerikanische Musiker Woody Guthrie seinen 101. Geburtstag feiern. Er war vor allem in den 30er und 40er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aktiv, einer Umbruchszeit in den USA. Die Wirtschaftskrise erschütterte das Land schwer, dazu kam eine Naturkatastrophe im Mittleren Westen, Guthries Heimatregion. Durch eine verheerende Dürre mussten viele Framer, die ohnehin in der Schuld der Banken standen, ihr Land aufgeben und anderswo ein Auskommen suchen.

    Bild: LOC

    Bild: LOC


    Politische Radikalisierung in harten Zeiten

    Guthrie selbst war zwar kein Farmer, sondern verdiente sein Geld als Musiker, Schildermaler und Gelegenheitsarbeiter. Aber er begann sich immer mehr mit dem Schicksal seiner Landsleute zu identifizieren, als er beim Radiosender KFVD in Los Angeles eine Radiosendung machte, deren Hauptpublikum Immigranten aus seiner Heimat waren, die ihr Glück wie er in der großen Stadt suchten. Los Angeles erlebte zu dieser Zeit eine starke Politisierung: Der neu gewählte Präsident Franklin D. Roosevelt hatte als Reaktion auf die Wirtschaftskrise einen bis dahin nie, und auch später nicht wieder, gekannten Linkskurs in der Politik eingeschlagen, als Antwort auf die Stimmung in der Bevölkerung. So erlaubte er 1935 in einem neuen Gesetz die freie Wahl der Gewerkschaften. Viele Linke, oft Kommunisten, begannen die Arbeiter in radikaleren Gruppen zu organisieren. Es gab landesweit Arbeitskämpfe und auch die Politik in Los Angeles und Kalifornien wandelte sich von extrem konservativ zum Liberalen.

    Guthries Radiosender bot vielen der neuen und alten linken und progressiven Gruppen Sendezeit an. Guthrie selbst wurde durch seine Erfahrungen mit dem Elend der Flüchtlinge in Kalifornien Kommunist, der sich über die konkreten Probleme hinaus für eine bessere Welt einsetzte – so radikal, dass es selbst dem progressiven, politisch für die Demokraten engagierten Sendechef zu viel wurde, der ihn Ende 1939 entließ. Guthrie ging daraufhin nach New York, wo es die größte kommunistische Szene in den ganzen USA gab – mit weitreichendem Einfluss in der Arbeiter(selbst)organisation und im Kunst- und Kulturbetrieb.


    Kampf für ein besseres Leben aller Menschen

    Guthrie und seine Mitstreiter/innen setzte sich zu einer Zeit, als Segregation noch zum Alltag gehörte, vehement für die Gleichberechtigung der Afroamerikaner ein – nachdem er zunächst den Rassismus, mit dem er erzogen worden war, abgelegt hatte. Er vertrat auch die Auffassung, dass Frauen und Männer absolut gleichberechtigt sein müssen – auch nicht ganz uneigennützig, denn er glaubte, freie und unabhängige Frauen würden sich entspannter auch mal auf sexuelle Abenteuer einlassen. Für jede/n US-Bürger/in forderte er einen Grundlebensstandard. Dazu gehörten für ihn eine Wohnung, eine Auto, ein Kühlschrank, Kleidung, ein Radio und Lebensmittel – und ein Einkommen, von dem man leben kann, dazu Freizeit, und Taschengeld jenseits der Notwendigkeiten. Er kämpfte auch gegen den Faschismus – in den USA und Europa. Krieg lehnte er generell ab, weil er allein dazu da sei, um den finanziellen Profiteuren aus der einschlägigen Industrie zu dienen. Jedoch bedauerte er nachträglich angesichts des Elends, was er als Matrose in Europa und Nordafrika in Folge des zweiten Weltkriegs sah, dass die USA nicht früher gegen die Expansion der faschistischen Staaten eingeschritten waren.

    Würde Guthrie heute leben, wäre er in vorderster Front der Kämpfer/innen nicht nur gegen Neonazis, sondern für Grundeinkommen und Mindestlohn, gegen Immobilienspekulation, für die volle Gleichberechtigung von Homosexuellen und für die menschenwürdige Behandlung von Flüchtlingen. Schon damals gab es einen Feind, der uns auch heute wieder begegnet: Banken und Finanzspekulierer/innen.


    Mehr zum Thema hier

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    Can’t Be Silent – ein Film über die Konzerttour Strom & Wasser feat. The Refugees http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/13/cant-be-silent-ein-film-uber-die-konzerttour-strom-wasser-feat-the-refugees/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/07/13/cant-be-silent-ein-film-uber-die-konzerttour-strom-wasser-feat-the-refugees/#comments Sat, 13 Jul 2013 11:33:19 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=714 Gerade ist das Thema Flüchtlinge in Deutschland und auch Österreich wieder in den Medien: In Berlin, München und Wien protestierten in den letzten Monaten Betroffene und ihre Freund/innen mit Märschen und Camps im öffentlichen Raum gegen die Behandlung von Flüchtlingen. Diese Camps wurden allesamt geräumt oder sind von Räumung bedroht – ohne dass es bemerkenswerte politische Veränderungen gab. Dagegen wittern Nazis wie heute ein Berlin die Chance, Ressentiments in der Bevölkerung zu nutzen, um ihre rassistische Ideologie zu verbreiten.

    Doch es gibt auch Menschen, die aufstehen – nicht nur im wortwörtlichen Sinne im Flugzeug, um eine Abschiebung zu verhindern. Neben den vielen stillen Unterstützer/innen der Flüchtlingsaktivist/innen gibt es auch einheimische Kulturarbeiter/innen, die sich mit ihren geflohenen Kolleg/innen zusammentun, um auf die Situation aufmerksam zu machen – und einfach die Kreativität zu leben, die ih ihnen steckt, in einer Welt jenseits von depressiv machender Auffanglagern, problematischer rechtlicher Situationen und rassistischer Diskriminierung.

    can't be silent

    Im Frühjahr 2012 startete die Band The Refugees gemeinsam mit Heinz Ratz und seiner Band Strom & Wasser eine Konzertreise. Die Hälfte der beteiligten Künstler sind Flüchtlinge in Deutschland. Sie erzählen konkret über die Umstände in den Lagern, ihrer konkreten Lebenssituation, ihren Ängsten, aber auch Träumen und Hoffnungen. Das Filmteam um Regisseurin Julia Oelkers begleitete die Konzerte. In Can’t Be Silent wird über die Musik und Interviews noch einmal sehr eindringlich dargestellt, was es bedeutet, als Flüchtling in Deutschland zu leben.

    Termin:

    Filmstart: 15. Juli, mehr Infos zu Terminen und Konzerten hier.

    Premierentour des Filmteams

    13.8. Berlin Freiluftkino Kreuzberg
    14.8. Essen, Neues Studio
    14.8. Münster, Cinema
    15.8. Frankfurt/M Mal Sehn Kino
    15.8. Erfurt Kinoklub
    15.8. Dresden, Schauburg
    16.8. Nürnberg Filmhaus
    16.8. Bamberg Lichtspiel
    17.8. Berlin Lichtblick Kino
    17.8. Berlin Moviemento
    17.8. Köln Filmpalette
    18.8. Hamburg 3001
    19.8. Rostock LiWu
    20.8. Tübingen Arsenal
    22.8. Bremen City 46
    23.8. Kiel Kino in der Pumpe

    Update:
    Die nächsten und vorerst letzte Konzerte von Strom & Wasser feat. The Refugees:
    06.12.2013 Magdeburg, OLI-Kino (samt Film!)
    07.12.2013 Potsdam, Da-Vinci-Schule
    08.12.2013 Radebeul
    09.12.2013 Münster Katholische Hochschule
    10.12.2013 Halle, La Bim
    12.12.2013 Bonn, Brotfabrik
    13.12.2013 Saarbrücken, Theaterschiff
    14.12.2013 Darmstadt, Centralstation
    15.12.2013 Hamburg, Knust
    16.12.2013 Kiel, Räucherei
    17.12.2013 Berlin, SO-36

    Website

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    Ron Finley: Ein Guerilla-Gärtner in South Central LA http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/06/25/ron-finley-ein-guerilla-gartner-in-south-central-la-2/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2013/06/25/ron-finley-ein-guerilla-gartner-in-south-central-la-2/#comments Tue, 25 Jun 2013 00:44:56 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=316 “Ein Apfelkern mit Haltung” überschreibt die New York Times ihren Artikel über den Künstler und Designer Ron Finley. Der ist seit einiger Zeit der Held einer modernen urbanen Szene, die ihr ökologisches und soziales Bewusstsein entdeckt. Finley lebt in South Central Los Angeles, “home of the drive-thru and the drive-by,” wie er es nennt. Fastfood wohin man schaut. Die Gegend ist allerdings international für ein ganz anderes Problem bekannt: Gewalt, die aus Armut und Chancenlosigkeit resultiert.

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    Als Finley begann, vor seiner eigenen Haustür gesundes Gemüse anzubauen, ahnte er noch nicht, dass er bald eine Initiative begründen würde, die zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann: Die Ernährungssituation und die Haltung der Menschen, ihr Selbstbild und ihren Blick auf die Umwelt zu verbesssern. Zunächst wollte Finlay lediglich Geld sparen und den 45-minütigen Weg zum nächsten Bio-Markt. Erst als die Behörden, denen das Land des Bordsteingartens offiziell gehört, ihm das urbane Gärtnern verbieten wollten, wurde er störrisch. Zudem hatte er eine arme Frau mit ihrer Tochter beobachtet, die heimlich Gemüse aus seinem Garten gemopst hatte. Auch die Nachbarn beäugten den kleinen Garten mit Neugier. Mit Gleichgesinnten entwickelte er vor drei Jahren die Initiative L.A. Green Grounds. Nach Finleys Rechnung gibt es in der Stadt genug ungenutzte Freiflächen für 724,838,400 Tomatenpflanzen.

    Hier gärtnern jedoch nicht einfach ein paar Leute am Straßenrand vor sich hin. Wie in anderen sozialen Brennpunkten, z.B. der prototypischen Stadt des Urban Gardenings, Detroit, entwickelt sich über die aus der Not geborene Quelle der gesunden Ernährung auch eine neue soziale Dynamik. Es entwickelt sich ein neue Gemeinschafts- und damit verbundenes Verantwortungsgefühl. Junge Menschen, deren einzige Möglichkeit sich zu profilieren, etwas zu sein, bisher in Mitgliedschaft in kriminellen Banden zu sein schien, lernen, dass Gärtnern, Kochen und sich um die Community zu kümmern cool sein kann und Status verleiht. Indem sie Verantwortung für die Natur übernehmen, übernehmen sie auch Verantwortung für ihre Mitmenschen – und sich selbst.

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    Finley gewann im vergangenen Jahr in einen weltweiten Wettbewerb einen Auftritt im Rahmen des renommierten TED-Talks (s.u.). Er überzeugte mit seiner extrovertierten, authentischen Art, seiner Herkunft – er wuchs mit sieben Geschwistern in der Gegend in South Central LA auf, wo 1992 die berüchtigten Riots ausbrachen – und der Dringlichkeit seines Anliegens. Er wurde seitdem nicht nur von Stars wie dem britischen Comedian Russell Brand hofiert, die seine Persönlichkeit und seine Mission beindruckt hatte und bekam Kooperationsangebote von großen Firmen – das Video ging über sämtliche Social Networks und hat inzwischen fast einer Million Views. Es inspirierte Menschen in aller Welt – und Los Angeles selbst. Finley, der seine Brötchen als Fitnesstrainer und Modedesigner verdient, wurde zum Gesicht und Botschafter einer unaufgeregten, aber bedeutsamen Freiwilligenbewegung – ein moderner Johnny Appleseed.

    Website Ron Finley
    Website L.A. Green Grounds

    Fotoquellen: Facebook / Website Ron Finley

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    Der japanische Arzt http://www.plan-alternative.de/index.php/2012/09/18/hello-world/ http://www.plan-alternative.de/index.php/2012/09/18/hello-world/#comments Tue, 18 Sep 2012 22:59:59 +0000 http://www.plan-alternative.de/?p=1 Der japanische Augenarzt Tadashi Hattori rettete bereits hunderte Vietnamesen vor dem Erblinden – aus Menschlichkeit. Er gab dafür ein geregeltes Leben und Karriere auf.

    Tadashi Hattori macht das, was eigentlich normal sein sollte, aber nicht ist: Er ist Arzt und hilft Menschen, und zwar nicht denen, die am besten bezahlen, sondern denen, die ihn am dringendsten brauchen. Seit zehn Jahren verbringt der japanische Augenspezialist mehr als ein Drittel des Jahres in Vietnam, um dort armen Patienten das Augenlicht zu retten – oft unbezahlt und nicht selten sogar auf eigene Kosten.

    tadashihattori

    Bildquelle: Facebook

    Dabei ist Hattori selbst nicht reich. Er hat die Chance auf eine Karriere an einer Uni oder in einem Krankenhaus in seiner Heimat sausen lassen, um sein humanitäres Projekt voranzutreiben. Auf einer Konfernz war er 2002 einem vietnamesischen Arzt begegnet, der ihm eindringlich schilderte, dass Leute dort reihenweise erblinden, weil sie keine Hilfe bekommen. Er bat Hattori darum, das Land zu besuchen und den dortigen Kollegen seine Fähigkeiten beizubringen. Sein japanischer Chef stellte den jungen Arzt vor die Wahl: Entweder Sie bleiben, oder Sie verlieren ihren Job hier unwiederbringlich. Nachdem er mit seiner Frau beraten hatte, fuhr Hattori nach Hanoi. Dort stellte er fest, dass es allein an vielen medizinischen Geräten mangelte, die in Japan selbstverständlich waren. Zunächst bekam er keinerlei Unterstützung in Japan, weder von Firmen, die er um Equipment bat, noch Fördergelder, die er bei der Regierung beantragte. Schließlich nahm er das eigene Ersparte, eigentlich für den Hausbau gedacht, und investierte es in die benötigten Spezialgeräte.

    Heute hat er, nachdem er zunächst arbeitslos war, zumindest die Möglichkeit, Teilzeit in verschiedenen Krankenhäusern in ganz Japan verstreut zu arbeiten, um seinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, wenn er zu Hause ist. Das klappt nur, weil Medizinfirmen und Kollegen, die seine Arbeit schätzen, ihm helfen. Zudem hat Hattori keinen Tag frei. Auch muss er eher in abgelegene Gegenden fahren, denn in seiner Heimatstadt Osaka und auch in Tokio ist der Markt voll.

    Durch Berichte über seine Arbeit in Vietnam wurden offizielle Stellen in Japan auf die Situation dort aufmerksam, so dass der japanische Staat einigen von Hattroris Arbeitsplätzen in Hanoi, wie dem Nationalen Institut für Augenheilkunde und dem Hai Phong Augenzentrum, über Entwicklungshilfegelder eine bessere Ausstattung finanzierte. 2005 bekam er sogar einen Dankesbrief des damaligen Außenministers Nobutaka Machimura, der nicht nur seine fachliche Arbeit anerkannte, sondern die Tatsache, dass er so auch einen entscheidenden Beitrag zur Völkerverständigung zwischen den beiden Ländern leiste. Hattori selbst war aufgefallen, dass er für seine Patienten nie Doktor Hattori war, sondern nur der „japanische Arzt“, also mit seiner Arbeit stellvertretend für sein Land steht.

    Fast jeden Monat fährt Hattori für ein, zwei Wochen nach Vietnam – für ein paar Tage nach Hanoi und dann in die ländlichen Gegenden, bis zu sieben Stunden mit dem Auto von der Hauptstadt entfernt. Neben der Sprachbarriere, die besonders am Anfang bestand, sei das größte Problem, dass die Vietnamesen aufgrund der Armut und der schlechten Infrastruktur erst zu ihm bzw. den lokalen Ärzten kämen, wenn sie kurz davor sind, das Augenlicht ganz zu verlieren, während in Japan die Menschen schon im Frühstadium der Erkrankung einen Arzt aufsuchen, wo man noch besser helfen kann. Inzwischen konnte Hattori mehrere junge einheimische Nachfolger/innen ausbilden, so dass er selbst seine Stunden ein wenig reduzieren konnte – seiner eigenen Gesundheit wegen. Dafür betreibt er zusätzlich die 2005 gegründete NGO Asia Prevention of Blindness Association ebenso wie eine Website über die Arbeit fast allein. Auch der ganzen Papierkram, den er anstrengender findet als das Operieren, bleibt an ihm hängen. Er bekommt sporadisch Hilfe und Spenden, aber kann sich darauf nicht verlassen.

    Er wünscht sich, dass junge Ärzt/innen seinem Vorbild folgen. Dass das nicht geschieht, findet er erklärlich: Man muss sehr viel aufgeben, im Prinzip sein ganzes „normales“ bürgerliches Leben über den Haufen werfen – auf ein hohes Gehalt verzichten, auch auf die Zugehörigkeit zu einem Krankenhaus oder einer Universität, die im japanischen System auch nach der Pensionierung die zentralen Bezugspunkte im sozialen Netzwerk bleiben. Für viele Menschen, besonders Ärzt/innen, sei auch in Japan Status und Geld alles, meint Hattori.

    Er selber hatte von seinem Vater gelernt, dass man „für die Menschen“ arbeiten soll. Nachdem dieser an Magenkrebs gestorben war, weckte das bei seinem Sohn, damals ein Teenager, den Wunsch, Arzt zu werden. Er hatte auch erlebt, wie herzlos sein Vater behandelt wurde, und machte sich das Credo eines Lehrers zu eigen, die Patienten wie die eigenen Eltern zu behandeln. Statt Gastroenterologe wurde er Augenarzt und nach ersten Anstellungen in Kyoto und Osaka kam es zu seiner schicksalhaften Begegnung mit dem vietnamesischen Kollegen. Schon vorher hatte ihn gestört, wie selbstbezogen viele seiner Professoren waren. Hattori, inzwischen Ende 40, bereut seine Entscheidung trotz aller Schwierigkeiten nicht. Er empfindet sein Tun als erfüllend: „Es gibt nichts Besseres, als Menschen zu helfen und sie glücklich zu sehen,“ sagte er der Japan Times.

    Wer Tadashi Hattori unterstützen möchte, kann ihn über seine Facebook-Seite erreichen. Er kann Englisch und freut sich über jegliche Hilfe für sein Projekt. Die Seite der Asia Prevention of Blindness Association gibt es derzeit nur auf Japanisch.

    Nach einem Bericht in der Japan Times


    (Dieser Artikel erschien zuerst am 08.09.2012 in der Freitag-Community).

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