von November 21, 2013 0 Kommentare Mehr →

Das Archiv von Albert Kahn – ein Viertel Jahrhundert Zeitgeschichte

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Albert Kahn lebte von 1860 bis 1940 in Frankreich. Der Banker war mehrere Jahrzehnte einer der reichsten Menschen Europas. Er hatte keine Kinder und ging beim Bankencrash 1929 pleite. Aber er hinterließ ein unschätzbares Erbe für die Menschheit: Eine Sammlung von 72 000 Farbfotos und 183 000 Meter Film, in denen das Leben in Europa und der Welt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts festgehalten ist.

Foto: Georges Chevalier 1914 / Musée Albert Kahn

Foto: Georges Chevalier 1914 / Musée Albert Kahn

Vom Viehändlersohn zum reichen Banker

Im Elsass als Sohn eines jüdischen Viehhändlers geboren, ging er mit 19 Jahren nach Paris, um sein Glück zu machen. Er machte eine Banklehre, studierte aber abends Literaturwissenschaft und Jura. Sein Tutor war der nur ein Jahr ältere Autor und Philosoph Henri Bergson, der zu einem lebenslangen Freund wurde.

1884 wurde Kahn als Jurist zugelassen. Acht Jahre später wurde er Direktor und Teilhaber des renommierten Bankhauses Goudchaux, damals eines der größten Europas. Kurz danach erwarb er ein Landgut in Boulogne-Billancourt bei Paris. Hier ließ er einen Garten, den Les Jardins du Monde, mit englischen, französischen und einen japanischen Elementen einrichten, die in ihrem Zusammenspiel seiner Vorstellung von harmonischer Völkerverständigung entsprachen. Der Garten wurde ein Treffpunkt der großen, vor allem französischen und europäischen Intellektuellen seiner Zeit; so empfing er hier u.a. Albert Einstein, Austen Chamberlain, Raymond Barrès, Paul Valéry, Anatole France und Auguste Rodin.

Die Archive des Planeten

1909 kam ihm auf einer Geschäftsreise nach Japan die Idee zu seinem Lebensprojekt, den Archives de la planète. Er hatte sich, u.a. angeregt durch seinen Chauffeur, schon zuvor für Farbfotografie, das damals brandneue Autochrome Lumière, und auch den Film, den ebenfalls die Lumière-Brüder Ende des 19. Jahrhunderts in verwendbarer Form entwickelt hatten, interessiert.

Jetzt wollte er Fotografen beauftragen, das Leben in einer Zeit zu dokumentieren, von der er sich absolut bewusst war, dass sich die Welt im Umbruch befand. Mit der fortschreitenden industriellen Revolution verschwanden die letzten Reste des traditionellen bäuerlichen Lebens, durch die fortschreitende Transporttechnik wuchs die Welt mehr und mehr zusammen. Kahn wollte das verschwindende Landleben dokumentieren, sowie die Völkerverständigung vorantreiben, indem er Bilder aus allen Ecken Europas und der Welt für seine Landsleute sichtbar machte.

Dabei ging es ihm nicht darum, aktuelle Neuigkeiten und Sensationen präsentieren, sondern er wollte einen dokumentarisch-soziologischen Blick. Er reiste selber durch den Kontinent und in die Welt hinaus, aber vergab auch Stipendien an Fotograf/innen, die er für passend hielt und ermöglichte ihnen so die Reisen und die Verwirklichung entsprechender Projekte.

Einzigartige Dokumentation

In 22 Jahren sammelte er eine einzigartige Dokumentation seiner Zeit: Das ländliche Leben in Europa, aber auch den Weltkrieg und andere prägende Ereignisse davor und danach, vom Untergang des Osmanischen Reichs bis zum Deutschland in der Inflationszeit. Seine Bilder sind Zeugnisse des Alltags und historischer Vorgänge, die die Zeit von vor 100 Jahren, das Leben unserer Großeltern, greifbar machen, historischen Fakten ein Gesicht geben, und zugleich zeigen, wie viel sich geändert hat.

Nachdem Kahn 1930 in Folge des Schwarzen Freitag sein gesamtes Vermögen verlor, musste er das Projekt abbrechen. Er lebte noch zehn Jahre auf seinem Landgut, dessen Garten vom Staat übernommen und weiter gepflegt wurde. Kurz nach der Okkupation Frankreichs durch die Nazis starb Kahn. Seit 1986 werden seine Bilder und Filme in einem staatlichen Museum in der 14 Rue du Port, Boulogne-Billancourt, Paris, gezeigt, in seinem Garten, der immer noch auf vier Hektar existiert. 2008 veröffentlichte die BBC in Zusammenarbeit mit dem Musée Albert Kahn eine mehrteilige Dokumentation, in der sie anhand von Fotos und Filmen die Geschichte der Zeit erzählt, The Wonderful Worl of Albert Kahn. Begleitend erschien ein Bildband.

The Wonderful World of Albert Kahn (English)
Musée Albert Kahn (Français)

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